Das Flirren der Dinge

Hardcover
368 Seiten; 18.4 cm x 11.6 cm
Sprache Deutsch
1. Auflage
2022 Diogenes
ISBN 978-3-257-07196-2

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Der neue große Roman von Raffaella Romagnolo über einen jungen Fotografen, der auf einem Auge blind ist – und doch so vieles sieht

Hauptbeschreibung

Antonio ist auf einem Auge blind – und trotzdem wählt der große Fotograf Alessandro Pavia von allen Kindern im Waisenhaus ausgerechnet ihn als Lehrbuben aus. Er nimmt ihn mit in sein luftiges Atelier über den Dächern von Genua und bringt ihm seine Kunst bei. Im frisch vereinigten Italien gilt es viel festzuhalten. Doch als bei einem Arbeiteraufstand eine junge Hebamme vor Antonios Linse läuft, sieht er mehr als ihre Gestalt. Vielleicht die Zukunft?

Raffaella Romagnolo

Raffaella Romagnolo, geboren 1971 in Casale Monferrato, unterrichtet Geschichte und Italienisch an einem Gymnasium. Seit 2007 schreibt sie auch Romane – mit Erfolg. Sie wurde mehrmals für den Premio Strega nominiert und ihr Roman ›Bella Ciao‹ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Raffaella Romagnolo lebt in Rocca Grimalda im Piemont.

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Barbara Kumpitsch aus unserer Tyrolia-Filiale in Innsbruck

Ich war erstaunt, wie anders doch dieser Roman ist. "Bella Cia" hat zwar auch die Geschichte des Landes eingebunden, aber es ist näher an unserer Generation dran. Bei diesem musste ich mich mehr anstrengen, die geschichtlichen Hintergründe zu versteh... Mehr lesen

Das Flirren der Dinge

Raffaella Romagnolo

Raffaella Romagnolo, die als Autorin von „Bella Ciao“ vielen von uns bekannt ist, hat mit diesem Nachfolgeroman „Das Flirren der Dinge“, der jedoch geschichtlich zurück in die Vergangenheit geht, also die Jahrzehnte davor in einem gerade geeinten Italien ins Auge fasst, ein wahres Meisterwerk geschaffen, das vor allem in Italien eine große Resonanz hervorgerufen hat. Der Originaltitel „Di luce propria“ (aus eigenem Licht, im Sinne von: „aus eigener Kraft, im eigenen Glanze erstrahlend“) scheint mir viel mehr den Inhalt auszudrücken als der deutsche Titel „Das Flirren der Dinge“, wo der Leser wohl nicht sofort die geschickt mit-gemeinte zweite Ebene des Romans erahnen kann. Denn es geht tatsächlich um Licht, um eine gewisse Unschärfe der Bilder, um Photographie, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jhs. gerade die ersten Fortschritte erzielte. „Die Zeit anzuhalten ist der kleine, flüchtige Trost dessen, der mit Silbernitrat und albuminiertem Papier umgehen kann. Und keine Zeit ist besser verwendet als die, die nötig ist, um die Belichtung zu messen. So überlegte er. Jede Aufnahme ein Wunder. Ein Bollwerk gegen den Verfall.“ Es geht aber auch um das Licht, das jedes Individuum ausstrahlt, und darum, wie jedes Geschick, jedes Einzel-Schicksal mit der jeweiligen geschichtlichen Situation verwoben ist: "Ich. Wählen Sie mich." Antonio Casagrande, der Protagonist des Romans, steht mit den anderen in der Schlange und weiß, dass sein stilles Gebet nicht erhört werden wird. Sie wählen immer jemand anderen. Und so verbrachte er elf Jahre in Pammatone, dem genuesischen Waisenhaus, das ihn gleich nach seiner Geburt am 13. Juni 1855 aufnahm. Und es besteht kein Zweifel, dass es an dieser perlenfarbenen Pupille liegt. Dass in diesem „kranken“ Auge gerade die Kraft liegt, die Zukunft der Menschen, die portraitiert werden sollen, weiß Antonio damals noch nicht. Eines Tages aber wird er tatsächlich ausgewählt: Ein Photograph braucht einen Lehrling, ohne Aufhebens. In der Werkstatt von Alessandro Pavia, einer tatsächlich im Italien des ausklingenden 19. Jhs. existierten Persönlichkeit, lernt Antonio, was er braucht, um in der Welt zu bestehen: die Magie des Alphabets, die Leidenschaft für Politik, die Liebe zur Gerechtigkeit und vor allem die ganz neue Kunst der Fotografie. Alchemistische Mischungen, albuminisiertes Papier und Licht, das Wichtigste. Madame Carmen, eine Bordellbesitzerin mit gebrochenem Herzen und großem Geschäftstalent, erklärt den Rest. Es sind entscheidende Zeiten in der Geschichte des Landes, und Pavia verfolgt auch eine Mission: das verrückte, visionäre Unternehmen, einen nach dem anderen die „Tausend“ zu porträtieren, die mit Garibaldi Italien geschaffen haben. In Borgo di Dentro, einer Handvoll Häuser in den piemontesischen Hügeln, hat er sogar vier davon entdeckt. Genau dort, an einem Festtag, entdeckt Antonio seine Macht: Befreit von der Augenbinde, verstärkt durch das Kameraobjektiv, sieht das blinde Auge, was niemand sehen kann, das Schicksal, das Unausweichliche. Und vielleicht ein Geschenk. Laut Antonio ein Fluch. Im Hintergrund ist Italien gerade erst geboren worden, und das Waisenkind des Pammatone wird zum Mann, während es die Momente durchlebt, die ein zerlumptes und ahnungsloses Land in eine Nation verwandeln. Caterina, eine mutige Hebamme, in die er sich verliebt, nimmt ihn an die Hand und hilft ihm die Welt zu verstehen, während seine Visionen immer chaotischer und schrecklicher werden. Mit einem blinden Auge im Sucher sieht Antonio, was niemand sehen will: den Schlamm der Schützengräben im Blick der jungen Männer, die den Krieg preisen, das Ende derer, die wir lieben. Unerbittlich und unnachgiebig fordert der Tod ihn immer wieder heraus. Bis Antonio Casagrande die Herausforderung annimmt und gerade dadurch seinem Adoptiv-Sohn Alessandro das Leben rettet. Gerade in heutiger, wieder von Krieg gebeutelter Zeit, bleibt der Roman von Raffaella Romagnolo ein beeindruckendes Dokument, das zum Nachdenken anregt und dazu anspornt, „aus eigenem Licht“ zu strahlen, den eigenen Platz in der Geschichte zu finden. Auch das, was uns ein Hindernis, eine Behinderung, erscheint, wie ein blindes Auge, ist eine Realität, die uns helfen kann, die Dinge von einem anderen Gesichtspunkt aus zu sehen, wahrzunehmen. Der Roman, der das „Flirren der Dinge“ behandelt, meint zwar die Unschärfe, aber gleichzeitig auch das Strahlen aus der Kraft des einem jeden von uns innewohnenden eigenen Lichtes: So vermag die Autorin dem Leser einen Gesichtspunkt, ja ein „Auge“ zu schenken, das alle Farben der Welt in sich aufnimmt und ihr Licht zurückgibt. Eine wirklich gewinnbringende „strahlende“ Lektüre!

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