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Bewertungen von Leser/innen

  • Paare von Maggie Millner

    Eine junge Frau in den Zwanzigern hat eine längere Beziehung mit einem Mann, in der beide nicht glücklich sind, so dass es häufig zu Streit kommt. Dann verliebt sich die Protagonistin in eine andere Frau und geht zum ersten Mal in ihrem Leben eine lesbische Beziehung ein. Der Mann trennt sich daraufhin von ihr. Auch mit der Freundin wird sie nicht glücklich, denn diese verlangt irgendwann Exklusivität von ihr, ist aber selbst nicht bereit, auf ihre zahlreichen Kontakte zu anderen Frauen zu verzichten. So ist das Ende auch für den Leser dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte, in der explizit dargestellte sexuelle Kontakte eine große Rolle spielen, schon bald abzusehen. Auch diese Beziehung geht zu Ende. Wenn die Protagonistin am Ende Bilanz zieht, betont sie, dass sie viel gelernt hat, vor allem auf dem Weg der Selbsterkenntnis große Fortschritte gemacht hat.

    Der Roman ist formal ein ungewöhnliches Experiment, denn er besteht zur Hälfte aus Paarreimen, zur anderen aus teilweise sehr poetischer Prosa, was sicherlich damit zu tun hat, dass die Autorin eine Dichterin ist. Interessanterweise spielt der deutsche Titel „Paare“ sowohl auf die Liebesbeziehungen zwischen Männern und Frauen an als auch auf Reimpaare/Paarreime, während der Originaltitel „Couplets“ sich nur auf die gewählte sprachliche Form in einem Teil des Romans bezieht.

    Für mich war dieses Buch ein interessantes Experiment, das mich aber nicht begeistert hat. Es fehlt an Handlungselementen und jeglicher Verortung in Zeit und Raum. Außerdem bleiben die Nebenfiguren – der Ex-Freund und die Geliebte – zu blass. Der Leser wird nur über die Gier und Besessenheit, den Kummer und die Verlusterfahrungen der Protagonistin informiert. Das ist mir zu wenig.

  • James von Percival Everett


    In seinem Roman “James“ schreibt Percival Everett Mark Twains berühmten Roman “Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ um, indem er zwar die Charaktere Huck und Jim und zahlreiche Episoden übernimmt, jedoch den Sklaven James - genannt Jim - zur zentralen Figur macht. Jim kann lesen und schreiben, verbirgt seine Kenntnisse und Intelligenz aber hinter dem primitiven Südstaatendialekt, den Sklaven sprechen, um nicht die Aufmerksamkeit der Weißen zu erregen, die Farbige für minderwertig, nicht besser als Tiere halten. Eines Tages erfährt er, dass er verkauft werden soll und flieht, weil ein Verkauf bedeuten würden, dass er seine Frau Sadie und seine kleine Tochter Lizzie nie wiedersehen würde. Huck schließt sich ihm an, indem er seinen Tod vortäuscht, weil sein Vater, ein Alkoholiker, zurückgekehrt ist und ihn brutal misshandelt. Sie nehmen ein fremdes Ruderboot, bauen sich später ein Floß und fahren den Mississippi entlang. Zeitweise verstecken sie sich auf einer Insel im Fluss. Während ihrer Flucht erleben sie Abenteuer und gefährliche Begegnungen und werden zeitweise getrennt. Jim wird von seinem Aufseher und anderen Weißen gesucht, und sein Leben ist ständig in Gefahr.
    Everetts Roman ist sehr gelungen, beschreibt er doch in teilweise sehr brutalen Szenen, wie es den rechtlosen Schwarzen in der Zeit der Sklaverei erging. Sie wurden ständig ausgepeitscht, für Kleinigkeiten aufgehängt, und wenn ein Mob einen Lynchmord verübte, wurde niemand strafrechtlich verfolgt, weil es nicht möglich war, einen Einzeltäter anzuklagen. Hinzukamen Farmen, wo Farbige für den Weiterverkauf gezüchtet wurden. Wenn ich Donald Trumps lächerliche Parole “Make America great again“ höre, denke ich automatisch an das menschenverachtende System des Sklavenhandels, nicht nur an die Vernichtung und Vertreibung der indigenen Völker.
    Ich habe dieses Buch gern gelesen, enthält es doch neben den brutalen auch humorvolle, recht witzige Passagen, nicht zuletzt auch, weil der Übersetzer einen Dialekt erfindet, der geschickt die Sprache der Sklaven des Originals imitiert.
    “James“ ist eine gelungene Adaptation von Twains Meisterwerk, zeitlos mit seiner Thematik, weil es Rassismus auch im 21. Jahrhundert noch gibt, nicht nur in den USA. Ich empfehle dieses Buch ohne Einschränkung.

  • Ein falsches Wort von Vigdis Hjorth


    In ihrem Roman “Ein falsches Wort“ schreibt Vigdis Hjorth die Geschichte einer dysfunktionalen Familie aus der Sicht der ältesten Tochter Bergljot. Im Alter zwischen 5 und 7 wurde sie von ihrem Vater missbraucht, ein Trauma, das ihr ganzes Leben überschattete, obwohl sie nach Zusammenbrüchen durch eine Psychotherapie Hilfe suchte. Als sie sich in ihrer Kindheit und Jugend immer deutlicher an die Geschehnisse erinnerte, fand sie in ihrer Familie keine Unterstützung, im Gegenteil. Die Mutter beschützte sie nicht und ließ nicht zu, dass die Wahrheit ans Licht kam. Ein öffentlicher Skandal hätte ihr Ansehen beschädigt und das Ende ihrer Ehe bedeutet, die durch ihre Affaire mit Rolf Sandberg ohnehin gefährdet war. Stattdessen beschimpfte sie ihre Tochter als psychopathische Lügnerin, die nur Aufmerksamkeit erregen wolle, wann immer diese über das Geheimnis sprechen wollte. Deshalb hat Bergljot vor 23 Jahren jeglichen Kontakt mit ihren Eltern und ihren jüngeren Schwestern abgebrochen und ihr Elternhaus nie wieder betreten. Dann kommt es zu Streitigkeiten über das Testament des Vaters, der seinen beträchtlichen Besitz letztlich doch nicht gerecht unter seinen vier Kindern aufteilen wollte. Vor allem Bard, der älteste, kann sich mit seinem Wunsch, die beiden Hütten auf der Insel Hvaler allen Geschwistern und ihren Familien zugänglich zu machen, nicht durchsetzen. Bei einem Notartermin kommt es zum letzten Eklat, als Bergljot ihren vorbereiteten Text über den Missbrauch vorliest. Bis auf den Bruder Bard ist niemand auf ihrer Seite, und niemand ist bereit ihr zu glauben und ihr zuzugestehen, dass das Verbrechen ihres Vaters ihr Leben ruiniert hat. Das Unausgesprochene war bei jeder Begegnung mit der Familie für Bergljot präsent wie ein Elefant im Raum. Nach einer solchen Vorgeschichte ist Verzeihen und Vergessen nicht möglich.
    Mir hat der wohl autobiografisch geprägte Roman gut gefallen, obwohl wegen der Technik des umgestellten Erzählens die zeitlichen Abläufe nicht immer klar sind. Da wird zum Beispiel über die Silvesterparty berichtet und danach ausführlich über die Beerdigung des Vaters im Dezember und das Weihnachtsfest. Es gibt wenig eigentliche Handlung im Roman. Dafür wiederholen sich Gedanken und Ereignisse in der Darstellung genauso, wie sie die Protagonistin in einer Art Endlosschleife quälen. Das ist nicht jedermanns Sache. Einwände habe ich im Übrigen gegen die sprachliche Qualität der Übersetzung. Die Übersetzerin, die so viele Sprachen beherrscht, hat das Deutsche wohl ein bisschen verlernt. Das ließe sich vielleicht bis zur Veröffentlichung im März noch korrigieren. Ansonsten durchaus empfehlenswert.

  • Notizen zu einer Hinrichtung von Danya Kukafka


    In Danya Kukafkas Roman geht es um einen Serienmörder, der nach sieben Jahren Haft hingerichtet werden soll. Ansel Packer hat noch 12 Stunden zu leben, in denen der Leser ihn begleitet. Er will nicht sterben, hofft auf eine Begnadigung in letzter Minute oder auf eine gelungene Flucht mit Hilfe der Gefängnisaufseherin Shawna Billings, die von ihm fasziniert ist. Ansel erinnert sich an die verschiedenen Phasen seines Lebens und erörtert den Inhalt seines Manuskripts über die Natur des Guten und des Bösen, die unzähligen Entscheidungen, die ein Leben ausmachen und die alternativen Leben, die jeder von uns führen könnte. Außerdem lesen wir die Geschichte der Frauen seines Lebens – nicht der Opfer -, die seine Biografie komplementieren. Da ist seine Mutter Lavender, die als junge Frau vor ihrem gewalttätigen Partner floh und ihre beiden kleinen Söhne zurückließ, dann Hazel, die Zwillingsschwester seiner Frau Jenny, und schließlich Saffy, die Ermittlerin, die als Kind in derselben Pflegefamilie wie Ansel lebte und Zeugin seiner grausamen Tierquälerei wurde. Sie hat sehr früh gewusst, dass Ansel als 17jähriger drei junge Mädchen ermordet hat, konnte sich aber in ihrem Team mit ihrer Überzeugung nicht durchsetzen, als Jahre später die Leichen gefunden wurden. Bis zu seiner Verurteilung waren Jahrzehnte seit seinen ersten drei Taten vergangen.
    Kukafkas Roman ist kein Whodoneit. Es geht in der auf verschiedenen Zeitebenen und aus wechselnder Perspektive erzählten Geschichte um andere Dinge: um die Faszination, die Serienkiller wie Ansel Packer ausüben, wie nicht zuletzt real existierende Mörder wie Ted Bundy und Charles Manson beweisen, deren Geschichte unzählige Male beschrieben und verfilmt wurde. Auch wenn die Autorin diese Faszination kritisch sieht, können weder sie noch der Leser sich davon völlig befreien. Außerdem übt Kukafka deutliche Kritik am amerikanischen Justizsystem und insbesondere an der Grausamkeit der Todesstrafe durch die Giftspritze. Dem Zeitungsleser ist noch deutlich der aktuelle Fall des Häftlings im Gedächtnis, der reinen Stickstoff einatmen musste, als es in mehreren Versuchen nicht möglich war, ihm die Spritze zu setzen.
    “Notizen zu einer Hinrichtung“ ist kein handlungspraller Reißer. Dafür sorgt schon die Erzählstruktur mit dem Wechsel der Zeitebenen und der Perspektiven. Der Roman hat durchaus Längen. Entbehrlich fand ich zum Beispiel die Ausführungen zu den ungelebten Leben der Opfer am Ende der Geschichte. Dennoch ein durchaus empfehlenswerter Roman, den ich gern gelesen habe.

  • Verborgen von Eva Björg Ægisdóttir


    “Verborgen“ ist der dritte Band einer Trilogie, die in der kleinen isländischen Gemeinde Akranes spielt. Eines nachts brennt ein Haus, und man findet einen Toten, einen jungen Mann namens Marinó. War es ein Unglücksfall oder Selbstmord? Weder noch. Alle Indizien deuten schließlich auf Mord. Die Ermittlerin Elma und ihre Kollegen finden immer mehr Spuren, ohne der Lösung näher zu kommen. Wenige Tage vor dem Brand wurde das holländisches Au-pair-Mädchen Lise zum letzten Mal gesehen, das die kleinen Töchter des Ehepaars Unnar und Laufey betreute. Deren 20jähriger Sohn Andi war mit dem Opfer Marinó befreundet. Dann finden die Ermittler eine zweite Leiche. Hängen die Fälle zusammen? Und wenn ja, wie und warum?
    Der Leser folgt den schwierigen Ermittlungen in einem immer komplexer werdenden Fall mit ständig neuen Wendungen und wachsender Personenzahl, vor allem auch mit einer stetig zunehmenden Zahl von Verdächtigen. In der kleinen Gemeinde kennt jeder jeden, und jeder weiß alles über die anderen. Dadurch entsteht ein erhöhter Druck. Die Ermittlerin Elma, die selbst in einer schwierigen Situation mit ihrem Partner Saevar steckt, folgt gegen Ende impulsiv ihrer Intuition, ohne die ihrer eigenen Sicherheit dienenden Vorschriften zu beachten und bringt sich in Lebensgefahr. Da gibt es jemanden, der alles tun würde, um sich und die eigene Familie zu schützen. Am Ende versteht der Leser die Zusammenhänge und weiß, wer in die Geschehnisse verwickelt ist.
    Der Krimi liest sich spannend und punktet mit seinem isländischen Ambiente und den sorgfältig gezeichneten Charakteren, vor allem der sympathischen Ermittlerin Elma. Mir war die Geschichte teilweise zu unübersichtlich und schwer nachzuvollziehen. Außerdem stört mich, dass der Fall zwar gelöst wird, aber doch nicht endgültig zum Abschluss kommt. Es soll ganz offensichtlich eine Fortsetzung geben. Das schätze ich nicht so sehr.


  • Chani und Baruch stammen aus einer jüdisch orthodoxen Gemeinde in London. Zur Zeit leben sie in Jerusalem, wo sich Baruch zum Rabbi ausbilden lässt. Sie sind seit zehn Monaten verheiratet und lieben sich. Ihr einziges Problem ist, dass ihre Ehe bisher kinderlos geblieben ist. Schließlich bitten sie Baruchs reiche Eltern um Hilfe, um eine Untersuchung und eventuell eine Fruchtbarkeitsbehandlung in einer Londoner Klinik zu finanzieren. Die Schwiegermutter hat Chani immer als unpassende Partnerin für ihren Sohn abgelehnt und nimmt die kostspieligen Dienste einer unsympathischen Heiratsvermittlerin in Anspruch, um eine neue Frau für Baruch zu finden. In einem zweiten Handlungsstrang geht es um Rabbi Chaim Zilberman und seine Frau, die Rebbetzin Rifka. Rifka hat ihren Mann und ihre Kinder ein Jahr zuvor verlassen, weil sie ihren Glauben verloren hat und das Leben in der strenggläubigen Gemeinschaft nicht mehr ertrug. Nun lebt sie unter ärmlichen Verhältnissen in einer Einzimmerwohnung und muss Anfeindungen und Schikanen der Frommen ertragen, wo auch immer sie ihnen begegnet. Ihr Mann wird von seinen Vorgesetzten zur Scheidung gedrängt. Als Rifka mit der Zustimmung zögert, gerät sie in Lebensgefahr. Auch ihr jüngster Sohn Moishe wird in der Schule gemobbt und schikaniert, ohne dass die Schulleitung ihn schützt. Am Beispiel von Rifka und ihrem 20jährigen Sohn Avromi, der eine Talmudschule in Jerusalem besucht und eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treffen soll, zeigt die Autorin, dass es Alternativen zur strenggläubigen Lebensführung der Orthodoxen geben muss, denn einige der Gesetze beruhen nicht auf der Tora, sondern sind menschengemacht, genauer gesagt: von Männern, häufig zum Nachteil der Frauen. Deutlich kritisiert sie auch die Niedertracht, mit der die ach so Frommen die Abtrünnigen verfolgen.
    Ich habe diesen Roman gern und sehr schnell gelesen, denn er hat mich in eine mir bisher weitgehend unbekannte Welt eingeführt. Ein Glossar erleichtert das Verständnis einer Vielzahl von jiddischen Ausdrücken. Die Kenntnis des ersten Teils ist nicht erforderlich. Von mir gibt es eine klare Empfehlung

  • Leuchtfeuer von Dani Shapiro


    In Dani Shapiros Roman „Leuchtfeuer“ geht es um zwei Familien in der Division Street im fiktiven New Yorker Vorort Avalon: die Familie des Arztes Ben Wilf mit Ehefrau Mimi und den Kindern Sarah und Theo und später die Nachbarn Shenkman mit dem hochbegabten Sohn Waldo. Eines Tages passiert eine Tragödie, die das Leben der Wilfs für immer verändert. Die Geschwister Sarah, 17 und Theo, 15 sind in einer Sommernacht mit einer Freundin angetrunken im Auto unterwegs, als ein tödlicher Unfall passiert. Ben Wilf versucht noch vergeblich zu helfen. Von nun an bestimmt ein furchtbares Geheimnis ihr Leben und sie müssen mit einer schweren Schuld zurechtkommen.
    Die Autorin zeichnet das Leben der zwei Familien über einen Zeitraum von 50 Jahren – 1970-2020 – nach und gewährt dem Leser durch einen allwissenden Erzähler tiefen Einblick in die Gedanken und Gefühle ihrer sorgfältig gezeichneten psychologisch komplexen Charaktere. Ihre Lebenswege kreuzen sich mehrfach, und vor allem Ben Wilf hat eine besondere Verbindung zu Waldo Shenkman, der sich schon als kleiner Junge mit Astrologie beschäftigt und später ein berühmter Astrophysiker wird. Durch Waldo sieht Ben, dass alles miteinander verbunden ist, dass die Kreisläufe von Geburt und Tod eine Entsprechung in den Konstellationen von 100.000 Billionen Sternen haben, die Millionen von Jahren benötigen, um zu entstehen und wieder zu verschwinden. Mit seinem ungewöhnlichen Wissen über das Universum und die letzten Stunden im Leben seiner dementen Frau Mimi hilft Waldo dem alten Mann, seinen großen Verlust zu bewältigen.
    Mir hat der Roman gut gefallen, obwohl er durch den Verzicht auf eine chronologische Erzählweise aufmerksames Lesen erfordert. Ungewöhnlich, aber sehr gut und absolut empfehlenswert.

  • Paris Requiem von Chris Lloyd


    Chris Lloyds zweiter Roman um den Ermittler Eddie Giral spielt im von den Deutschen besetzten Paris Ende 1940. In einem heruntergekommenen Jazzclub wird ein Toter gefunden, der auf grausame Weise umgekommen ist. Man hat ihm den Mund mit Nadel und Garn zugenäht. Giral kennt das Mordopfer, das er selbst seiner Bestrafung zugeführt hat. Er wird entdecken, dass insgesamt mehr als 30 Straftäter aus dem Gefängnis in Fresnes entlassen wurden, ohne dass sich aufklären lässt, wer diese Maßnahme autorisiert hat. Giral stößt auf eine Mauer des Schweigens und findet zunächst nicht viel heraus. Dann passieren weitere Verbrechen, und Giral selbst gerät in Lebensgefahr.
    Im Lauf der spannenden Geschichte werden mehrere Handlungsstränge verfolgt und andere Themen behandelt. Eddie versucht seinen Sohn aufzuspüren und möglichst zu retten, zu dem er seit der Trennung von dessen Mutter keinen Kontakt mehr hatte. Weitere Mütter suchen nach ihren Söhnen und bitten Eddie um Hilfe. Viel kann er nicht ausrichten, muss stattdessen vorsichtig lavieren, um sich nicht mit dem eigenen Vorgesetzten und den zahlreichen mächtigen Vertretern der Besatzungsmacht anzulegen und sein Leben zu riskieren.
    Der Autor schafft es in dieser gelungenen Mischung aus Krimi und historischem Roman, ein sehr anschauliches Zeitporträt zu schaffen, in dem deutlich wird, wie das Leben der Franzosen mit der allgegenwärtigen Bedrohung, dem Hunger, der Rationierung von Lebensmitteln und der Knappheit von allen Arten von Gebrauchsgütern Ende 1940 aussah, als die Menschen mit allen Mitteln versuchten, das eigene Überleben zu sichern. Auch Eddie muss Kompromisse eingehen, zur Kooperation bereit sein, ohne sich korrumpieren zu lassen. Dem Autor sind mit Eddie Giral und seinem Kollegen Boniface sehr sympathische Protagonisten gelungen. Ein empfehlenswerter Roman.

  • Die Verletzlichen von Sigrid Nunez


    Im Mittelpunkt des neuen Romans von Sigrid Nunez steht eine namenlose Schriftstellerin, die als Ich-Erzählerin während der Pandemie den Lockdown in New York erlebt. Eine Freundin bittet sie um Hilfe, als ein Student, der in der Wohnung einer Freundin dieser Frau den Papagei Eureka während der Abwesenheit der Besitzerin versorgen soll, überraschend auszieht. Die Schriftstellerin erklärt sich dazu bereit und freundet sich mit dem Vogel an. Als eines Tages der Student zurückkommt, leben sie eine Weile beide in der Wohnung, und es entwickelt sich eine Art Freundschaft. Das ist der rudimentäre Plot, der jedoch keinen breiten Raum im Roman einnimmt. Es geht um viele andere Themen: Leben und Schreiben in Zeiten der Pandemie, menschliches Miteinander und Fürsorge für andere, die Besonderheiten des Zusammenlebens mit einem Tier, das Vergehen der Zeit und damit des Lebens und nicht zuletzt um Literatur. Die sehr belesene Autorin nennt und zitiert eine Vielzahl von Autoren der europäischen Literatur, was mir besonders gut gefallen hat.
    Auch wenn der Roman keine stringente Handlung hat, habe ich ihn gern gelesen und bewundere die sprachliche Eleganz der Autorin, von der ich bereits mehrere Romane kenne. Sehr lohnend, wenn man bereit ist, sich auf eine etwas andere Art von Roman einzulassen. Die erhebliche Zahl sprachlicher Verstöße hätte allerdings gut ein gründliches Lektorat vertragen.

  • Die sieben Monde des Maali Almeida von Shehan Karunatilaka


    Im Mittelpunkt von Shehan Karunatilakas 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnetem Roman “Die sieben Monde des Maali Almeida“ steht der gleichnamige Kriegsfotograf und leidenschaftliche Glückspieler, der eines Tages im Jahr 1990 als Toter in einer chaotischen Zwischenwelt aufwacht, wo die Toten Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen. Maali Almeida bleiben sieben Monde, d.h. sieben Tage, um herauszufinden, wer ihn getötet hat und warum. Danach gehen die Seelen ins Licht ein und vergessen die Vergangenheit. Maali hatte Feinde, nicht nur, weil er eine Beziehung mit Dilan Dharmendran, dem Sohn eines tamilischen Ministers hatte, sondern auch weil seine Fotos Zeugnis ablegen von grausamen Verbrechen, teilweise verübt oder geduldet von hochgestellten Persönlichkeiten. Maali Almeida will nicht nur den Mord an ihm selbst aufklären, sondern auch seine versteckten Fotos und Negative retten, damit die Wahrheit über die Bürgerkriege der 80er Jahre in Sri Lanka ans Licht kommen. Die aus Maalis Perspektive, aber in der zweiten Person erzählte Geschichte zeigt, wie Tamilen und Singhalesen und etliche politische Gruppierungen einander erbarmungslos bekämpfen, wie von der Regierung finanzierte Todesschwadronen ganze Dörfer auslöschen und was die in Gefängnissen und anderen Einrichtungen Inhaftierten erleiden. Auch die Einmischungen anderer Staaten, z.B. Indien oder USA kommen wiederholt zur Sprache. Der Autor erspart dem Leser keine grässlichen Details, beschreibt immer wieder das Aussehen der massenhaft herumliegenden Leichen, die spezielle Müllmänner im Krematorium verbrennen. Karunatilaka hat offensichtlich dasselbe Anliegen wie sein Protagonist: die Wahrheit muss ans Licht kommen. Wir dürfen angesichts solcher Verbrechen weder schweigen noch resignieren, müssen kämpfen, sonst ist keine Veränderung möglich.
    Ich fand den ungewöhnlichen, sehr umfangreichen Roman schwer zu lesen – nicht nur, weil mir die Vorkenntnisse über die Geschichte Sri Lankas fehlen, sondern auch wegen der ungeheuren Personenvielfalt und der chaotischen Handlungselemente aus Vergangenheit und Gegenwart, in denen Geister, Dämonen und Teufel eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die Lebenden. Gestört hat mich auch die Qualität der Übersetzung mit ihren zahlreichen grotesken Wortneuschöpfungen. Insgesamt bin ich etwas enttäuscht.