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Bewertungen von Leser/innen

    Ich lese fast nie Liebesromane, aber diese Jessica-Winter-typische Kombi mit etwas Spannung, gesellschaftskritischen Themen und eher selbstbewussten Protagonistinnen mit etwas Frechheit ohne dieses reine Geschmachte mag ich. Hier bekommt die Geschichte an sich wieder 5 Sterne, wird jedoch abgewertet auf 4 wegen eines fiesen Cliffhangers, der das Buch eindeutig als nicht einzeln lesbar einordnet. Ich hätte lieber Band 1 und Band 2 gleich hintereinander gelesen, statt jetzt bis zum Herbst zu warten – auch wenn ich fairerweise zugebe, genau die aufgerufenen 99 Cent als Wunschpreis für ebooks zu haben – da wären mir 1,98 dann doch lieber gewesen mit den „fehlenden“ Seiten. Kaufe werde ich Band zwei natürlich auf jeden Fall, aber nun zum Buch selbst.

    „Em“, Emerald hat sich in New York mit ihrem klapprigen Auto auf den Weg gemacht zu ihren jüngeren Geschwistern, um zu ihrem achtzehnten Geburtstag ein Versprechen einzulösen. Doch nach einem Sekundenschlaf-Unfall (Leute, fahrt NIE übermüdet) muss sie in Ceaser City, Iowa, ihr Auto in eine Werkstatt geben. Dummerweise überzieht sie der Mechaniker „Gabe“, Gabriel, mit einem Wechelbad aus Ritterlichkeit und grober Unhöflichkeit. Wie soll sie so ihr Versprechen einlösen, von diversen Folgeschritten nach diesem geplanten ersten Schritt abgesehen?

    Die Kapitel sind wechselweise aus der Sicht von Em und Gabe beschrieben und es wird schnell klar, dass beide eine Vergangenheit haben, die sie vor anderen eher verbergen wollen, was aber im Jetzt reichlich Probleme verursacht. Während Gabe eher dazu neigt, völlig ohne Vertrauen in die Welt zu blicken („Das Licht am Ende des Tunnels ist lediglich ein entgegenkommender Zug“), ist Em zupackend, positiv, ein Wirbelwind: „Und ich würde dir gern eines Tages helfen, eine neue Zukunft für dich zu finden, die dich genauso glücklich machen kann, wie der ursprüngliche Plan. Ich würde gern der Wind in deinen Segeln sein, verstehst du?“. Doch sobald der Leser glaubt, aus den ersten Andeutungen heraus die Wahrheit zu erahnen, kommt es noch viel dicker.

    Wie gesagt, wunderschön, in einem Rutsch über Nacht inhaliert. Aber was für ein Mensch lässt Leser bis zum Herbst warten???

  • Die stille Tochter von Gard Sveen

    1973 flieht die 17jährige DDR-Bürgerin Christel Heinze, die als Schwimmerin an einem Wettkampf in Norwegen teilnimmt, in die bundesdeutsche Botschaft. Doch Christel bleibt eine, die nie ankommt in dieser Zeit des Kalten Krieges: in der Bundesrepublik verdächtigt man sie, von der Stasi ins Land geschleust worden zu sein - Guillaume lässt grüßen. Wieder in Norwegen, wird sie im sozialdemokratischen Land von den meist linksgerichteten Studenten als Verräterin an der Sache beschimpft. Bald verliebt sie sich, wohl in den falschen Mann, wird erpresst mit ihrer Vergangenheit und verschwindet schließlich bekleidet mit einem Schafsfellmantel.
    2016 wird eine Frauenleiche in einem See gefunden. Die Tote trägt die Reste eines Mantels aus Schafsfell. Tommy Bergmann beginnt zu ermitteln und wird verwickelt in ein Verwirrspiel mit Kalten Kriegern und Geheimdiensten, als auch noch ein Norweger getötet wird, der früher für die Sowjetunion spioniert hatte.

    Die Stimmung ist meist düster und voller Vorahnung auf ein schlimmes Ende, die häufigen Sprünge ließen mich immer weiter lesen. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, tiefe Einblicke erhalten zu haben. Seit der langen Zeit, in der die Sozialdemokraten an der Regierung waren, hat sich Norwegen verändert: "Tommy sah sich diskret um und hatte plötzlich das Gefühl, dass die norwegische Sozialdemokratie nur eine Illusion war. Früher hatte die Arbeiterpartei die Gesetze gemacht, während die Reichen das Geld verdient hatten, soweit die Regeln es zuließen. Heute saßen Menschen wie Christian Wessel auf beiden Seiten des Tisches." Die Vertreter der Macht, mit denen Tommy sich einlässt, offenbaren ihren Zynismus: "Die meisten Menschen hätten es in einem aufgeklärten Absolutismus leichter oder in Platons idealem Staat. Sie wissen es nur nicht besser. In dem Chaos, das die sogenannte Demokratie mit sich bringt, sind es Menschen wie ich, wie meine Familie, die sich Macht und Geld sichern, während der einfache Mann auf der Straße brav seine Steuern zahlt und schon zufrieden ist, wenn er einen schönen Film im Fernsehen findet oder von den sozialen Medien gefesselt wird, mit denen die Amerikaner die Welt betäuben. Sie halten das, was sie um sich herum sehen, für die Wirklichkeit." Ähnlich zynisch ging man Jahre zuvor auch mit Christel um.

    Ich hatte dieses Buch bereits auf dem Reader, als mir auffiel, dass es sich um Band 4 einer Serie handelt. Also habe ich zumindest den ersten Band vorgezogen, als Audio, denke aber, dass man Band 4 auch allein lesen könnte (es scheinen die Bände 2 und 3 jedoch in genau dieser Reihenfolge eng zusammenzuhängen und es gibt in diesem Band 4 einige Spoiler auf letztere zur Gesundheit von Tommy Bergmann und seiner Lebensgefährtin Susanne; nicht jedoch auf Band 1, obwohl Tommy einem Polizisten aus Band 1 wiederbegegnet - auf den damaligen Fall wird absolut nicht Bezug genommen). Wie auch Band 1 besticht dieser Spannungsroman, den ich eher als Polit-Krimi (einen Whodunnit) einordnen würde denn als Thriller, durch den starken Bezug auf einen historischen Fall. In Band 1 war das der Zweite Weltkrieg mit der deutschen Besatzung Norwegens und dem Widerstand, hier ist es der Kalte Krieg, dessen Akteure im Damals und Heute einige Geheimnisse zu hüten trachten. Der Ansatz gefällt mir sehr gut, vor allem, wie von Beginn an die Handlungsstränge im Heute (mit Tommy als Hauptperson) und Damals (aus der Sicht Christels) aufeinander zu getrieben werden. Ich fand die Anzahl der Stränge und Handelnden als durchaus komplex und habe mir irgendwann eine Liste gemacht; als Hörbuch beim Band 1 fiel mir der Durchblick deutlich schwerer.

    Gefallen hat mir das während der Lektüre, weniger jedoch vom Ende her. Es bleiben einige Fragen offen, so kann ich zum Beispiel nur aus einem Nebensatz entnehmen, wer der Mann mit den teuren Lederschuhen war. Ich verstehe nicht die Motivation von mehreren Taten, wie den Zeitpunkt für den Mord an Storholt (nach dem Leichenfund, ja, aber dennoch, warum erst jetzt), das Motiv auf Täterseite damals, warum einige jetzt plötzlich reden wollen, Sascha, Kleive, in Berlin. Was wurde aus der Schwangerschaft? Und dann diese Unterhaltung am Ende - das ist irgendwie unrund (ich kann das alles nur kryptisch schreiben, um nichts zu verraten). Dazu hatte ich lange Zeit die Sorge, dass der Plot eine Wiederholung von Band 1 werden könne - es gibt einige Gemeinsamkeiten, eine unschuldig zwischen die Mühlen geratene naive Idealistin, der sich genötigt sieht, mit ihren Informanten zu schlafen. Der Name Gretchen wird wieder verwendet, es gibt wieder einen Handlungsstrang mit Deutschland (um den Markt hier mit ins Visier zu nehmen?), ältere Akteure sehen sich wieder durch Krebs zu bestimmten Aktionen genötigt (es gibt doch noch andere Krankheiten), ein Unsympath erinnert wieder an einen Vogel (Ornithologie dürfte nicht das Hobby von Autor Gaard Sveen sein). Ich habe mir gerade Band 2 geholt, denn im Gegensatz zu Band 1 (5 Sterne) war ich von dem aktuellen Band 4 nicht überzeugt. 5 Sterne zwar für Spannung, Aufbau und Setting, aber nur maximal 3 für die Handlung. Insgesamt 3,5 Sterne. Ich runde ab und lasse Luft für eine Einordnung von Band 2 und 3.

  • Ich kenne mindestens eine Frau, die bei der Scheidung auf einen finanziellen Ausgleich verzichtet hat, nur, um den Mann schnellstmöglich loszuwerden, obwohl sie nach gemeinsamer Absprache auf eine volle Berufstätigkeit zu Gunsten der Kinder verzichtete. Vermutlich wird sie später in die Falle der Altersarmut fallen - dann werden genau diese Kinder für sie bezahlen müssen oder die Gesellschaft in Form von Aufstockung - viel wird es trotzdem nicht sein.
    Ich kenne mindestens eine Frau, die keine Arbeit annehmen würde, die es erfordert, regelmäßig über Nacht weg zu sein - sie würden sich Sorgen darum machen, dass nächtliche Abwesenheit dazu führt, dass der Mann sie betrügt (ich klage hier NICHT die Alleinerziehende mit Kleinkindern an).
    Ich kenne deutlich zu viele Frauen, die sich im Kampf um die Kilos oder das Makeup und die Kleidung hauptsächlich nach anderen Frauen richten - sie wollen ein bestimmtes Aussehen, damit andere Frauen sie als Konkurrenz empfinden und somit nicht als "leichte Beute", in deren "Revier" sie "wildern" können. Kennt jemand diesen speziellen musternden Blick von oben bis unten?
    Ich habe oft erlebt, dass Frauen es nicht mögen, wenn sie sich von Frauen belehren lassen sollen, sei es als Chefin, als Trainerin, sogar als Kollegen. Wenn eine Frau einer anderen Frau widerspricht oder sie korrigiert, wird ihr das häufig nicht verziehen. Männer gehen hinterher trotzdem ein Bier trinken.
    Ich kenne Frauen, die im Berufsleben stehen, kein eigenes Konto haben, nie eine Überweisung tätigen, nicht wissen, wo Verträge abgeschlossen sind.
    Ich kenne Frauen, die bei einem Ehebruch des Mannes daheim ausgezogen sind und mit den Kindern in einer Mini-Wohnung wohnten, nur um ihn nicht mehr sehen zu müssen - statt den Platz für sich und die Kinder einzufordern.

    Ich kenne viel zu viele Frauen, die sich in Bezug auf Finanzen und beruflichen Erfolg eher selbst im Wege stehen - oder die anderen Frauen im Wege stehen. Frauen sind untereinander oft sehr wenig solidarisch. "Sugar-Daddys" erscheinen erschreckend vielen jungen Mädchen als erstrebenswert - und "kleine Prinzessinnen" sollen rosa tragen, Spielzeug erfüllt Rollenbilder, die ich in den 70ern und 80ern nicht mehr so stark sah - MINT-Berufe werden wohl eher nicht angestrebt.
    Um vollständig zu bleiben: Ich kenne auch die üblichen Witze von Männern, immer gegen Gruppen, die als schwächer empfunden werden - gerne auch gegen Frauen (wie auch in Form von Rassismus oder anderen Diskriminierungen). Ich kenne es aber nicht, dass Männer sich selbst kleinmachen, freiwillig verzichten, einander aufgrund von 5 Kilo zuviel oder einer bestimmten Krawatte missachten.

    Ich habe kein Problem damit, wenn in einer Partnerschaft jemand bestimmte Aufgaben übernimmt, die ihm oder ihr einfach besser liegen - oder die er oder sie einfach nur weniger unangenehm findet. Man sollte nur sinnvoll darüber reden und finanzielle Absprachen zu Beginn treffen. Solange "er" Spagetti aus der Kombipackung mit Soße hinstellen kann, wenn sie spät nach Hause kommt, darf "sie" gerne sonst immer die Köchin sein. Und er darf gerne alle Finanzen übernehmen, wenn es einen gemeinsamen Notfallordner gibt und die Rechte und Pflichten beider vertraglich abgesichert sind. Ich brauche keinen Krampf zu Männer- und Frauenrollen, aber ich mag gerne erwachsene Menschen.

    Ich finde die Grundidee dieses Buches genial. Die Umsetzung bereitet mir hochgeklappte Fingernägel.

    Faye ist liebend gerne das "kleine Frauchen" für ihren großen starken tollen Jack. Der behandelt sie zwar wie Dreck, aber er hat schließlich Stress. Sie hat zwar mehr Hirn, aber er bringt das Geld ins Haus - weil sie verzichtet hat, das gemeinsame Firmenkonzept weiter mit umzusetzen. Klar, das Luxuskind kann ja nicht nur vom Kindermädchen erzogen werden, Faye muss gegenüber den anderen Luxusweibchen im Wettpink... äh, Wettbewerb um möglichst wenig Kilo, viel Blubberwasser und die richtige Markenkleidung antreten. Das erfüllt ja auch total.

    Ich mochte keine der Personen, außer Chris und ein wenig Kerstin (bei älteren Frauen bin ich in Bezug auf bestimmte Rollenbilder verständnisvoller). Selbst die kleine Julienne nervte mich mit ihrem Gezicke. Auf den ersten Teil des Buches hätte ich fast komplett gerne verzichtet, höchstens Faye einige Packungen Kondome zuwerfen wollen. Ja, Sex, explizit, aber irgendwie bevorzugt unterwürfig, frustriert - und definitiv ungeschützt. Ernsthaft? Einzig die Rückblenden ließen mich auf irgendeinen Sinn hoffen,
    Rückblenden auf die junge Faye, mit ganzen Zaunfeldern voller Andeutungen auf ihre Vergangenheit, mit irgendeinem tragischen Ereignis, das sich spät klärt, sonst liest ja keiner weiter.

    Den zweiten Teil fand ich dann genial - Faye wacht auf und handelt. Aus der Sicht des Buchendes kippt das aber. Faye gibt es also nur als Opfer - oder sie nimmt Rache, übt Selbstjustiz, geht über Leichen.
    Ja, Frauen mit bestimmten Kindheitserfahrungen, heißt es, werden leichte Opfer. Faye hatte aber gerade in der Kindheit gehandelt - wie logisch ist dann ihre Opferrolle später? Wie logisch ist, dass ihr Racheschema wirklich den Ermittlungsbehörden entgehen kann?
    Wie wahrscheinlich ist es, dass sie genau in dem Moment, in dem sie Geld benötigt, DIE Geschäftsidee hat, die sie benötigt, die dann auch so schnell zu finanziellem Erfolg wird? Wie viel Mut macht das Beispiel von Faye anderen Frauen, jemanden einfach anzuzeigen? Welche Identifikation ist das für zum Beispiel eine Verkäuferin bei Aldi oder eine Krankenschwester oder selbst die Ärztin, als Idee, mit einem Partner gleichzuziehen, von dem man ausgebootet wurde? Hat jemand am Ende vergessen, was sie mit Viktor getan hat und weshalb? Wie konnte sie ihre erste Racheaktion aus der Jugend finanziell durchziehen, wie den Kontakt aufrechthalten? Wenn Jack doch so toll war, anfangs, warum war er nicht eingeweiht? Wenn klar war, aus welchem Ort Faye kam, warum hat da nie jemand nachgeforscht? Worin ergab sich die zwingende Logik, dass sowohl Henrik als auch Jack genau parallel "mutierten"? Wie wahrscheinlich war der langjährige Erfolg von Compare, wenn doch Faye als einzige den Durchblick hatte?
    Und so weiter, und so fort.

    Faye will Rache. Wenn Sex mit dem Gegner hilft, kein Problem. Und natürlich geht das nur schlank. Und selbstverständlich können sich fast alle anderen Frauen damit identifizieren, von einem Mann verladen worden zu sein (das geht in der Realität durchaus auch umgekehrt, also, Frau verlädt Mann, aber nun ja. Die "ich-weiß-dass-er-mich-betrügt-aber-ich-liebe-ihn-so" Version kenne ich tatsächlich nur von Frauen, aber auch die "du-willst-Papa-doch-gar-nicht-sehen-du-liebst-mich-doch" Option).

    Gut geschrieben, aber irgendwie ein Klischee wie in den 80ern Joan Collins im Denver Clan. In den sexuellen Parts teils unappetitlich, es lief mir etwas zu oft Sperma an Fayes Beinen herunter (wie gesagt, Kondome?).

    Warnung: Gewalt, auch sexuell. Ansonsten kein Thriller, eher ein Psychodrama mit Selbstjustiz-Moral.

  • Der Zopf meiner Großmutter von Alina Bronsky

    In der Leseprobe fand ich das Buch noch skurril, aber ansprechend, dann hätte ich es am liebsten beendet, konnte es nicht aus der Hand legen, wollte wissen, wie es weitergeht - und legte es nicht ganz zufrieden beiseite.

    Da ist diese Großmutter - wir haben bei meiner gewohnt und ich vermisse sie bis heute - skurril und stur, die dem Enkel Maxim ein ganzes Arsenal an besonderen Sprüchen entgegenwirft. Die Familie ist aus Russland nach Deutschland gekommen; um das zu bewerkstelligen, wurde ein weitgehend frei erfundenes Judentum genutzt – während man eigentlich nicht viel Gutes von Juden hält. Das ist schon weniger schön; allerdings hält man auch nicht viel von sonst jemandem, fairerweise.
    Eltern zu haben, die sich Sorgen machen, ob etwas hygienisch ist, das kenne ich auch. Aber diese Kontroll-Soziopathin von einer Großmutter erniedrigt ihren Enkel, demütigt ihn vor anderen, hält ihn klein, beleidigt ihn, behandelt ihn wie ein Baby, setzt ihn herab, malt ihm die Zukunft in düstersten Farben, traut ihm nichts zu, belügt ihn und verteilt rassistische Sprüche an alle, auch der Großvater wrid nicht verschont. Wundersamer Weise finden beide Auswege: der Enkel ist bald der Übersetzer der Großmutter, die weiter fast nur Russisch versteht, und somit Herr über die Informationen, der Großvater sucht sein Heil außerhalb des Haushalts. Man könnte auch sagen, er lässt dem Enkel zwar mehr zu, heimlich – und lässt ihn damit sehenden Auges im Stich. Doch die Familienverhältnisse sind nicht einfach und werden noch verwirrter.

    Was soll ich hiervon halten? Es gibt zwar auch Momente der Zartheit bei der älteren Dame, die vermutlich Hanibal Lector gegessen hätte, sobald sie mit dem Spülen der Bakterien aus Chuck Norris durch war. Da gibt es auch witzige Teile, die jedoch vergessen sind, wenn sie das arme Kind als Idioten, Schwachkopf, bald sterbend, und so weiter beschimpft.
    Und bitte, meine Omma ist ganz im echten Leben über Sicherheitspersonal von großen Wirtschaftsmessen gewalzt, weil sie ihren Enkelsohn besuchen wollte. Aber Idiot, lebensunfähig, das hätte uns niemand nennen dürfen. "Du spinnst, kommt her, macht das, ...." das geht.

    Das wäre so eine schöne ganz besondere Familiengeschichte - aber mir ist die Großmutter zu dick aufgetragen, bei aller Skurrilität. Großmutter Margo macht zwar zum Ende Ansätze, alte Zöpfe abzuschneiden, aber bis dahin hat sie ihren Enkel der Kindheit und Identität beraubt. 3 Sterne.

  • All das zu verlieren von Leïla Slimani

    Adèle hat als Journalistin Vorteile: Sie kann nach Bedarf Gründe angeben, nicht daheim zu sein. Nach Bedarf für ihre Bedürfnisse: um Sex zu haben, Sex mit ihrem Chef, Kollegen, Unbekannten. Ihr Mann Richard bekommt Ausreden. Sie bekommt oft nicht das, was sie sucht. Nicht neu genug, nicht hart genug, nicht brutal genug. Also ist der nächste Mann fällig. Oft stösst sie die Menschen um sich herum zurück, benimmt sie sich wie eine schmollende Dreijährige in der Trotzphase, die sich im Badezimmer einschließt, als es zu einer Einladung geht, dort die anderen Frauen ignoriert, aber den Gastgeber bedrängt. Dann, an anderer Stelle, scheint sie gefallen zu wollen: S. 18 "Ich lade euch ein", verkündet Adèle, deren Konto überzogen ist und der noch nie ein Kollege auch nur ein Glas spendiert hat."

    Sie lebt den Widerspruch: "Adèle mag ihren Beruf nicht. Sie hasst die Vorstellung, dass sie arbeiten muss, um davon zu leben." S. 15 aber: "Ihr Mann verdient gut. ... Adèle ist eine verwöhnte Frau, und ihr Mann ist stolz darauf, wie unabhängig sie ist." S. 16.

    Was sie wirklich will? "Adèle könnte nicht sagen, wo im Knäuel ihrer Gefühle sich die Liebe zu ihrem Sohn verbirgt. Irgendwo zwischen der Panik, ihn anderen anvertrauen zu müssen, der Gereiztheit, wenn sie ihn anzieht, der Erschöpfung, wenn sie seinen störrischen Buggy eine Steigung hochschiebt." S 34 Dann genießt sie das Kuscheln mit ihrem Sohn. Doch was, wenn sie eines Tages auffliegt?

    Ich habe diesen verstörenden und soghaften Roman in einem Rutsch gelesen, von den Sprachbildern ist er genial. Inhaltlich bin ich gerade arg überfordert. Schulfrage: Was wollte uns die Autorin sagen? KEINE AHNUNG. Wir sind alle allein? Wir sind alle abhängig oder coabhängig? Es gibt keine wahre Liebe, nur Kontrolle und Abhängigkeit? Wir sind immer auf der Suche, unzufrieden, oft heimlich, nur lebt das kaum jemand so konsequent aus?

    Ich habe mich zwischendurch gezwungen, mir eine Vertauschung der Rollen vorzustellen. Richard schläft herum. Dann hätte es wahrschleinlich Sexismusvorwürfe gehagelt, Sprüche über Altherrenphantasien, auch von mir. Andererseits, das hier ist hauptsächlich selbstzerstörerisch. Warum? Weil ein nackter Mann als bedrohlich empfunden wird, die Leute sich über eine nackte Frau im Park jedoch freuen? Nun, Sex ohne Kondom, mit Fremden, mit dem Bedürfnis, Gewalt zu erfahren, werde ich weiterhin als fragwürdig empfinden.

    Was wird zu den Gründen gesagt? Nichts. Es wird Anorexie angedeutet, mindestens eine Vernachlässigung als Kind durch die Mutter, ein seltsames Bild. Das ist mir zu einfach. In einer ZDF-Vorabendserie wäre die Lösung, dass Adèle als Kind missbraucht wurde, "am Besten" (! sic) innerhalb der Familie. Die Sprüche ihrer Mutter sind ausreichend seltsam. "Ich war's, die ihr gesagt hat, sie soll mal ein bisschen anziehender sein, aufreizend." S. 87

    Geht es um Macht durch Manipulation? Darum, sich nur irgendwie zu spüren, statt ritzen oder Drogen? Geht es darum, dass Frauen das auch dürfen? Ehrlich gesagt, wäre mir Promiskuität recht schnurz (die Menschen können fast alles tun, solange es nicht zu Pflicht für alle wird) - aber diese Selbstzerstörung ist eine andere Sache.

    Soghaft zu lesen, verstörend, es bleibt die Frage, warum dieser Text.
    Und was machen wir jetzt damit? Sprachlich 5 Sterne, wie auch ihr anderer Roman „Dann schlaf auch du“. Den hatte ich mit 4 Sternen bewertet. Das hier ist für mich inhaltlich deutlich schwächer, also 3 ½ Sterne. Kein Wohlfühlbuch, aber ideal für eine Leserunde.

  • Der Wal und das Ende der Welt von John Ironmonger

    „…manchmal ist die Übertreibung näher an der Wirklichkeit als die Wahrheit.“ S. 10

    St. Piran an der Küste Cornwall ist mehr Dörfchen als Dorf, kaum jemand verirrt sich hierher. Doch an einem Tag wurden aus den 307 Einwohnern 308 Einwohner, es war im Oktober oder September, an einem Mittwoch oder Donnerstag, als einige der Einwohner am Strand einen Wal sichteten und den nackten Mann fanden. Der Teenager Charity Cloke war dabei mit ihrem Hund und der Strandgutsammler Kenny Kennet, und der am Strand gefundene Mann namens Joe änderte schon vom ersten Moment an etwas im Ort.

    Doch Joe ist derjenige, dessen Namen sie aus einem Hut gezogen haben bei der Investmentbank, für die er arbeitete. Und jetzt ist er da und wird ein Versprechen erfüllen, das er gegeben hat.

    Okay, das hier ist so einiges: Gesellschaftskritik (Leerverkäufe, sinnentleerte Jobs, Just-in-time-Produktion), Dystopie für diejenigen, die sonst nie Dystopien lesen, Märchen, philosophische Diskussion, Liebesgeschichte. Das ist leicht zu lesen, der Ton ist ähnlich wie bei Lekys „Was man von hier aus sehen kann“ oder der Film „Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam“ (bei der Frage nach Cappuccino dachte ich noch an „Und täglich grüßt das Murmeltier“). Alles ist etwas skurill, mit vielen kauzigen Charakteren. Die Zeitebenen wechseln, da ist das „Jetzt“, dann kurze Rückblicke in Joes hektisches Leben als Analytiker einer Investmentbank, gut durch den Stil verdeutlicht, weitere Rückblenden zu Joes Jugend, kurze Sprünge in die Zukunft, zu dem Fest, in dem man sich ans Jetzt erinnert. Das alles sehr geschickt, man bekommt das gut mit, die Ebenen entwickeln sich aufeinander zu; auch die riesige Personenzahl bekommt man überraschend gut hin.

    Was so ein bisschen, hm, zweischneidig ist: das gleitet ganz schon ins Gefühlvolle auf den letzten Seiten, mit Weihnachtsliedern, großem Dorffest, Überraschungsbesuchern und sehr viel Zucker, äh, Tran. Das ging gerade noch so, weil der Rest so schön ist und weil ich genau der „Nicht-Dystopie-Leser“ bin, zu düster. Tut mir leid, düster im Hier und Jetzt vertrage ich, eine düstere Zukunft nicht. Das ist sicher auch ein perfektes Buch zum Verschenken, passend vor allem für Weihnachten, auch hören würde ich das gerne. Leicht, ohne belanglos zu sein.

    5 Sterne.

  • "Dienstag, 7. November 2017, 9:45 Uhr. Autopsie an Dr. Jonathan Wright ..." S. 37

    Holly Wakefield hatte sich in die Bereitschaftsliste der Polizei eingetragen und ist so an den Mordfall eines Ehepaars geraten, bei deren Autopsie sie nun steht. Holly ist forensische Psychologin und Analytikerin für kriminelles Verhalten, vulgo: Profilerin. Sie hält Vorlesungen und ist eigentlich damit und mit der Betreuung ihres „Lieblingspatienten“ Lee in einer Anstalt für gestörte Straftäter ausreichend ausgelastet, dennoch arbeitet sie sich wie besessen in den Fall ein. Die Polizei um DI Bishop geht davon aus, bereits ein weiteres Opfer des Täters zu kennen, aber es fehlen Hinweise, Verdächtige, Zusammenhänge, Ansatzpunkte.

    Bald sieht Holly erste Zusammenhänge, ein möglicher Täter kommt ins Bild. Holly zweifelt. Doch sie spielt nicht mit offenen Karten und ein Blick in ihre Vergangenheit droht alles zu zerstören.

    Okay, „beschädigter Ermittler“ kannte ich, aber das hier ist diesbezüglich der Hammer und eigentlich das Gegenteil davon – starke Frau passt, aber wie. Und wie man einen Prolog später wieder mit einbezieht, dazu hat Autor Mark Griffin ein Paradestück geliefert. Der wirkliche Clou ist jedoch, was er so an Plottwists hervorzaubert – das passt alles und ist so etwas von durchtrieben – ich hatte sogar einen (korrekten!) Täterverdacht, der dennoch so etwas von falsch war, weil ich keine Idee zum Motiv hatte und nicht den Hauch einer Ahnung zum gesamten Zusammenhang. Somit wusste ich nichts, und das sogar noch ganz zum Schluss. Ich hatte irgendwann nur noch ein diebisches Vergnügen an alldem.

    Die üblichen Warnhinweise: hart. Es geht um sadistische Serienmorde mit sexueller Komponente, allerdings wohnt man dem Leiden der Opfer nicht live und in Farbe bei. Ich fand’s grandios. Eine gehörige Portion Action kommt noch dazu. Dazu meckere ausgerechnet ich einmal nicht über Selbstjustiz, denn mit Notwehr kann ich sehr gut umgehen (selbst lesen und urteilen!). Auf die zunehmende Anzahl von Schmetterlingen in Hollys Bauch in Gegenwart von Bishop hätte ich verzichten können – sei’s drum, der arme Kerl hat als Vorname nur DI. So wie Mrs de Winter keinen Vornamen hat (die zweite, in „Rebecca“) oder Inspektor Columbo. Darf er. Und die Arme hat ja auch als Hobby Murderabilia, was sofort Tierpräparatorin von der Spitze der Liste ablöst. Dafür empfiehlt sie als Hinterbliebenentherapie die Lektüre von Büchern, bevorzugt von Sachbüchern, das muss man einfach mögen.

    Nur der Titel … das Original von 2018 heißt „When Darkness Calls“. BITTE liebe Verlage, nicht immer diese Würgerei, englische Titel mit anderen englischen Titeln ins Deutsche nicht zu übersetzen, das ist Schrott. Der Rest ist Top, 5 Sterne.

  • Zara und Zoë von Alexander Oetker

    Frankreich, kurz vor einer Mautstation. Eine Frau fährt einen Wagen mit vollem Tempo auf die Mautschranke zu, erst in letzter Sekunde öffnet sie sich. Es ist ein „Go fast“, eine Drogentransport, bei dem die Schränkenwärter vorher bestochen worden. Zoë fährt das Fahrzeug. Seit Jahren ist sie die rechte Hand des Mafiapaten, die Königin der Finsternis.

    Wieder Frankreich. Ein junges Mädchen wurde bestialisch erstochen, Overkill. Eine Frau sieht sich alles an, sehr lange und sehr genau, Hinterher wird sie alles in ihr Notizbuch schreiben. Zara arbeitet bei Europol. Sie weiß, dass sie hierfür Hilfe benötigen wird, jemanden, der nicht auf Seiten von Ordnung und Gesetz bleiben muss. Jemanden, DIE sich nicht an Gesetze hält. Jemanden wie Zoë.

    Vielleicht war meine Erwartungshaltung schuld. Ich hatte nach Leseprobe und Klappentext gerechnet mit einer Ausgangssituation zwischen der Millenium-Reihe mit Lisbet Salander, der gelegentlich wie Zara ein leichter Asperger-Autismus unterstellt wird und die auch eine Zwillingsschwester hat, und der Reihe von Ethan Cross mit dem Psychopathen Ackerman und seinem „guten“ Bruder. Nun, das hier ist weder noch. Zara ist vordergründig die brave Schwester, die keine Gesetze brechen kann – was nicht stimmt, zu Beginn tut sie es mit der Übergabe an Zoë, zum Schluss tut sie es in Bezug auf den knieenden Vater, und nein, das ist keine Notwehr. Zoë wirkt wie die coolere – aber wer würde ernsthaft eine Drogendealerin für cool halten wollen? Und welcher Vater stellt sein Töchterchen einem Mafiapaten vor, wenn er doch tief im Innern immer nur ein Restaurant betreiben wollte? Die Entfremdung der beiden wirkt auf mich aufgebläht – ebenso die Versöhnung. Doch wie das „doppelte Lottchen“ nach acht Jahren der Entfremdung funktionieren sollte, wenn man nichts voneinander weiß, bleibt eines der größeren Rätsel. Und ein ernstgemeinter Mordversuch – nur, weil Papi und Mami nicht mehr miteinander können? Ich verstehe auch nicht, warum sich Zoë hineinziehen lässt – nur weil ihr Ziehvater eine Ahnung hat? Und auch Zara hat eine Ahnung? Die beiden sollten Lotto spielen bei den vielen Vorahnungen; das ist alles nicht nachvollziehbar. Auch das Abschneiden der Haare – da hätte sich die Schwester in den Monaten bis zum Sommer ja wieder die Haare wachsen lassen können, aber gut.

    Was richtig gut ist: der Grund-Plot, das Konstrukt hinter dem Verbrechen. Dazu wirken sowohl die Milieuschilderungen als auch die Landschaftsbeschreibungen sehr lebendig. Auch gefiel mir der Aufbau, mit den eingebauten Medien-Abschnitten. Das lässt sich insgesamt flott lesen; allerdings sind es recht wenige Buchstaben pro Seite.

    Der Schluss nach einigen Action-Szenen ist dann immerhin stimmig, bis darauf, dass jemand, der eigentlich gar nicht morden wollte, eher nicht zum Overkill neigen würde, aber nun. Es gibt einen ganz moderaten Blick in die Möglichkeiten eines Folgebandes.

    Insgesamt eine lockere Strandlektüre, dort, wo man nicht so auf Klischees und Unstimmigkeiten achten möchte, aber nichts, was haften bleibt, leider. 2-3 Sterne, 3 nur wegen des guen Konstrukts und Aufbau. Aber der Folgeband interessiert mich nicht und ich möchte Herrn Oetker im Moment auch nicht in einem anderen Buch lesen.

  • Der Patriot von Pascal Engman

    „Sie wollen Feindseligkeit säen, damit wir aufeinander losgehen." S. 349

    „Menschen mit abweichenden Ansichten werden als 'Schweine' oder 'Hunde' bezeichnet. Wissen Sie warum wir das tun?“
    „Nein.“
    Madeleine runzelte die Stirn.
    „Um zu entmenschlichen“, fuhr Sandberg fort. „So erklären sich die Wissenschaftler, wie augenscheinlich mental gesunde deutsche Männer und Frauen als Aufseher in den KZs arbeiten konnten. … Die Opfer werden nicht als Menschen betrachtet, sie werden nicht bei ihrem Namen genannt, und es wird auch sonst alles getan, um sie nicht als gleichwertig anzusehen. Das ist ein unbewusster Prozess, ein Mechanismus, um sich vor Gewissensbissen zu schützen.“ S. 157
    „Also, was Menschen dazu bringt, zum Terroristen zu werden, darüber gehen die Meinungen auseinander. … Aber der erste Schritt besteht darin, sich bedroht und seiner Freiheiten beraubt zu fühlen. Sei dies tatsächlich der Fall oder nur eingebildet. Im nächsten Schritt überzeugt man sich davon, dass diese Bedrohung der Freiheit ein von anderen geschaffenes Konstrukt ist, und folgert daraus, dass die Bedrohung aufhören kann. Die Situation ist also nicht zwangsläufig hoffnungslos. Und schließlich muss der Betreffende selbst glauben, dass Gewalt der einzige Weg ist, um an der Situation etwas zu ändern und der Bedrohung ein Ende zu machen.“ S. 158

    In Stockholm werden kurz nacheinander mehrere Journalisten ermordet, die zuvor für verschiedene Zeitungen positiv über die Integration von Flüchtlingen oder gegen Rechtsextreme geschrieben hatten. Doch bald werden diese Ereignisse in den Schatten gestellt von einem bestialischen Anschlag…

    Mich nervt der Stil, reihum im Wechsel zu den verschiedenen Protagonisten zu gehen: da ist Madeleine, Journalistin in Stockholm, Carl, einer der Täter (ja, das wird gleich zu Beginn ausgesprochen), Ibrahim, ein Stockholmer Taxifahrer mit syrischen Wurzeln, und August, ein schwedischer Ex-Fremdenlegionär in Südamerika. Jedes der Kapitel endet mit einem Cliffhanger, der dann erst vier Kapitel später aufgelöst wird, um in den nächsten Cliffhanger zu münden. Ich mag es spannend, aber das empfand ich als Nötigung – ich war kurz davor, aufzugeben, und habe dann nur die Kapitel mit August vorausgelesen, dann den Rest ohne August.

    Dazu sind die Handlungsstränge speziell: Madeleine ist eine manipulative Zicke, die niemanden leiden kann, ihrem Papi gefallen will, der sie aber gegenüber Zweitfrau und Zweitkindern hintan stellt. August arbeitet als Leibwächter für einen russischen Waffen- und Drogenhändler und ist bereit, für diesen zu töten. Carl als Täter serviert mit seinen Bundesgenossen einen kruden Mix an Theorien, ist aber sonst verwöhntes Söhnchen aus reichem Haus. Einzig Ibrahim wirkt wie jemand, mit dem man gern zu tun hätte. Die Vereinfachung der Täterseite wird meines Erachtens dem Thema nicht gerecht: das wäre ja so einfach, die Identifikation, das Feindbild - doch leider sind das häufig ganz normale Menschen, die mich in den letzten Monaten mit Aussagen schockiert haben (Stufe 1!). Selten habe ich Wörter mit F, die sich auf „Kotze“ reimen, in solcher Häufigkeit gelesen, gerne im Zusammenhang mit aufschlitzen oder vergewaltigen. Wichtig wäre mir der Umgang mit den „Stufe – 1 – Menschen“ gemäß des obigen Zitats.

    Dann kommen die mir zu konstruiert, zu plakativ wirkenden Teile: Das Konstrukt, dass ein Anschlag von einem unfreiwilligen „Guten“ durchgeführt wird, wobei die Planung dazu für mich nur von Schwachstellen wimmelt. Ganz ernsthaft, wenn man dem Fremdenhass begegnen will, muss man sich auch offen damit auseinandersetzen, dass es NATÜRLICH genauso kriminelle oder radikalisierte Einheimische wie Fremde gibt, alles andere ist Mumpitz. Nicht ganz verstanden habe ich, warum der laaaange Teil mit August in Südamerika eingebaut wurde, der auch nicht gerade sehr appetitlich ist; sollte das „Ex-Legionär“ noch deutlicher buchstabieren (der kann schießen und kämpfen)? Wozu nützt die Schwangerschaft von Madeleine? Warum interessiert sich Madeleine nach dem Essen im Hotel nicht mehr für ihren verletzten Vater? Bekommt man als Schwede illegale Waffen ausgerechnet nur in Südamerika, im Bereich eines anderen Schweden, dem man dann daheim wieder begegnet? Wer riskiert etwas, bei dem der eigene Tod einkalkuliert ist, ohne Rückvergewisserung, dass das eigene Kind dadurch wirklich überlebt, was man ja tot nicht mehr überprüfen kann? Wenn das Täter(Ferien-)haus durchsucht wird, müsste man ja die DNA der Geisel finden, die dann nicht mehr genau der entgegengesetzten politischen Richtung zugeordnet werden könnte, Islamist und Islamophob, das geht nicht gleichzeitig.

    Der Schreibstil gefiel mir (besser als der Aufbau), die Idee fand ich gut, einige Zitate top. Ansonsten ist das leider arg konstruiert. 3 Sterne.

  • Stieg Larssons Erbe von Jan Stocklassa

    In Kürze: Sachbuch. Komplex, mit sehr vielen Personen und Zusammenhängen. Thema ist die journalistische Investigation zum Mord an Olof Palme. Der Journalist Jan Stocklossa recherchierte zu dem Thema und nahm das Archiv Stieg Larssons als Ausgangspunkt (ja, der Autor der „Millenium-Reihe“ um Lisbet Salander und Mikael Blomkvist war „eigentlich“ Journalist). Wegen der Komplexität erfordert das Buch politisch-geschichtliche Vorkenntnisse – dann liest es sich jedoch sehr spannend, wenn auch gelegentlich etwas sperrig.

    Am 28. Februar 1986 wurde Olof Palme, damals Regierungschef Schwedens, erschossen – wer nicht ausreichend politisch interessiert ist, um davon mindestens gehört zu haben, für den ist das das falsche Buch. Ich gehe sogar soweit, dass ich der Ansicht bin, dass man die politische Lage der Zeit mindestens grob skizzieren können sollte, um den Text in einen sinnvollen Zusammenhang stellen zu können: Apartheid, geteiltes Deutschland, Iran-Contra-Affäre, der vergangene Vietnamkrieg, Abrüstung, Kalter Krieg, Iran-Irak-Krieg, RAF, Ronald Reagan, Helmut Kohl, Margaret Thatcher. Ich war damals ein Teenager und habe das in den Nachrichten mitbekommen und zufällig vor nicht allzu langer Zeit eine Dokumentation im Fernsehen gesehen, die auf gewissen Ungereimtheiten hinwies (wer sich auf den aktuellen Stand bringen will – unten habe ich einige Links gesammelt).

    Autor Jan Stocklossa hat eine Darstellung für das Buch gewählt, an die ich mich zunächst gewöhnen musste: das gibt es romanhafte Passagen, die die Handlung aus der Sicht von Stieg Larsson beschreiben – vermutlich den vielen Fans geschuldet; gleichzeitig empfand ich diese Teile als am einfachsten nachzuvollziehen. Dann gibt es die „Quellen“, Transkriptionen von Interviews oder heimlichen Mitschnitten, Briefe, Akten, Zeitungsausschnitte, Skizzen. Speziell die Briefe Larssons erzeugten bei mir eine etwas unheimlich wirkende Authentizität – leider hat man einen Schrifttypus gewählt, der die damalige Schreibmaschine darstellen sollte, aber einfach nur sehr schlecht lesbar ist (lieber Verlag: ich besitze noch alte Schulaufsätze von der Schreibmaschine geschrieben – das wäre in der Allgemeinheit nie nutzbar gewesen bei derart schlechter Qualität). Insgesamt kann man sich anhand der Quellen sehr gut in die Zeit zurückversetzen; die Notwendigkeit zum Briefweg, zu Durchschlägen im Vergleich zu heutigen Kopien oder Mail verdeutlichen die Unterschiede zum Heute zusätzlich.

    Dazu kommen dann im Buch noch meist kurze Kapitel zum Fortschritt der Untersuchung des Mords - und diese fand ich teilweise problematisch. Da wird häufig eine Personen- und Faktenflut gelistet, das nächste Kapitel hat wieder einen anderen Fokus, dann geht es vielleicht vier Kapitel weiter mit einigen der Personen weiter. Darunter litt teils mein Durchblick, nach anfänglichem Zurückblättern konnte ich mich daran jedoch gewöhnen. Guter Stil ist es dennoch nach meiner Meinung nicht. Überhaupt, Stil: Gerade diese Kapitel kranken häufig an etwas, was in jedem Schulaufsatz angestrichen würde: Bezug, wo ist der Hauptsatz, Anschluss:
    S. 297 „Sein Leben war 1986 erstarrt auf dieser Insel, frühere Taten verbüßt. Gestrandet in einem Land, das es offiziell nicht gab, in einem Haus, das langsam verfiel und zuwucherte.“ Warum wird hier ein Punkt statt eines Kommas gesetzt? Derlei Sätze gibt es viele.
    Ähnlich mit der heißen Nadel gestrickt wirkt „er war Waffenexperte und verkaufte diese“, wen verkaufte er, die Waffenexperten? Wenn hier nicht das schwedische Lektorat geschlampt hat, war es das nach der deutschen Übersetzung.

    Auf den eigentlichen Inhalt möchte ich bewusst nicht eingehen – es gibt kaum ein Buch, beim dem man ähnlich leicht viel zu viel verraten könnte. Was mir wichtig ist: ich neige nicht so sehr zu Verschwörungstheorien, ob das Bernsteinzimmer noch in irgendjemandes Haus aufgebaut ist oder Marilyn Monroe von der CIA ermordet wurde, würde mein Weltbild nicht durcheinander bringen, ist mir aber auch keine Lebenszeit wert. Stocklossa schafft es, den schmalen Grat zwischen Wahrheitssuche, Besessenheit und Verschwörung zu balancieren. Für Fans der Millenium-Bücher dürfte interessant sein, wie viele Parallelen in die journalistische Arbeit von Larsson es gab – ich werde wohl die Reihe nochmals im Licht dieses Buches lesen.

    5 Sterne trotz der genannten Abzüge wegen Stil und Form – da ich schlicht nicht zu beurteilen vermag, ob diese Stocklossa anzulasten sind oder der Übersetzung. Schweden vor, das würde mich interessieren!

    Zum Einstieg/Überblick:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Olof_Palme
    3sat 43min-Doku https://www.youtube.com/watch?v=RE039RYTBE0