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  • Die Knochennadel von Andreas Gruber

    "Wohin er kam, gab es Tote. Eine Kälte umfasste sein Herz. Er dachte an Elisabeth und Tatjana. Beinahe bekam er keine Luft mehr. Dabei musste er ziemlich nah an der Wahrheit dran sein, schließlich kam er immer nur um wenige Minuten zu spät.
    'Denk nach! Wie, verdammt nochmal, hängt das alles zusammen?'"
    (S. 161)


    Peter Hogart, freiberuflicher Versicherungsdetektiv, möchte sich mit seiner Lebensgefährtin Elisabeth und seiner neunzehnjährigen Nichte Tatjana, in Paris ein paar schöne freie Tage gönnen. Zuvor muss Elisabeth jedoch noch eine äußerst wichtige Auktion über die Bühne bringen. Während Hogart bei dem internationalen Versicherungsriesen 'Medeen & Lloyd' nicht mehr tätig ist, arbeitet Elisabeth noch als Gutachterin und Auktionatorin für diese Firma.
    Unter den Hammer kommt ein ganz besonders exklusives Stück, das als "Die Knochennadel" bekannt ist und aus dem 12. Jahrhundert stammt. Hogart, dessen detektivische Spürnase nie Urlaub macht, wundert sich zwar über die laschen Sicherheitsvorkehrungen, aber was geht ihn das an. Immerhin ist er im Urlaub. Das hat er sich zumindest gedacht, doch natürlich kommt es ganz anders.
    Nach der Auktion verschwindet nämlich nicht nur die Knochennadel, sondern mit ihr auch Elisabeth.
    Während Hogart und Tatjana, die übrigens in die Fußstapfen ihres Onkels schlüpfen möchte und über die gleiche sensible Spürnase wie ihr Onkel verfügt, sich um Elisabeth Sorgen machen, sind alle auf die Knochennadel fixiert. Schlimmer noch, alle scheinen der festen Überzeugung zu sein, dass sich Elisabeth mit diesem Kunstobjekt aus dem Staub gemacht hat.
    Nun muss Hogart nicht nur wieder für 'Medeen & Lloyd' die Knochennadel finden, sondern es tritt auch die Besitzerin diesbezüglich an ihn heran. Jedoch nicht auf die freundliche Art und Weise.
    Den einzigen Ansatzpunkt den er hat, sind die Antiquitätenhändler und Kunstsammler. Doch wie soll man ermitteln, wenn diese der Reihe nach ermordet werden?
    Das Gute daran ist, dass diese Spur die richtige zu sein scheint. Das Schlechte daran ist jedoch, dass alles auf Elisabeth als Täterin hinweist und er dadurch selbst ins Visier der Polizei und auch der Täter rückt.


    "Der Mann trug Hemd und Weste. Seine Kehle klaffte weit auf, bis zur Halsschlagader. An den äußeren Enden der Wunde steckten zwei scharfkantige Gegenstände, die aussahen wie die Tonscheiben einer Vase.
    Der Mann war tot - dazu brauchte er keinen ärztlichen Befund."
    (S. 160)


    Wie in allen Thrillern von Andreas Gruber ist man auch hier gleich mitten drin, statt nur dabei. Gruber ist dafür bekannt nicht lange zu fackeln und so hängt man von der ersten Seite an mit der Nase im Buch. Dabei verfolgt man zwei Handlungsstränge.
    Zum Einen begleitet man Peter Hogart, der sich auf die Suche nach Elisabeth und der Knochennadel macht. Der zweite Handlungsstrang führt 15 Jahre in die Vergangenheit und hier liest man aus der Sicht eines neunjährigen Mädchens, welches für den Tod der Eltern Rache schwört.
    Im Verlauf nähern sich diese beiden Handlungsstränge an, bis sie sich miteinander verweben und schlußendlich zur Lösung führen.
    Zwischendurch erhält man natürlich auch Einblicke in die Sicht der Opfer, kurz bevor sie das Zeitliche segnen.


    "Sie würde herausfinden, wer dieser Einbrecher war. Dann würde sie ihn aufspüren, eine Pistole nehmen und ihn erschießen und dabei nicht einmal mit der Wimper zucken. Obwohl sie erst neun war, erschreckte sie diese Vorstellung nicht einmal. Im Gegenteil. In diesem Augenblick wurde ihr Herz zu Eis."
    (S. 76)


    Von Anfang an ist Spannung geboten. Es kommt immer wieder zu überraschenden Wendungen und auch zu einigen blutigen Szenen.
    Auch der trockene Humor fehlt hier nicht, der vor allem am brummeligen und zynischen Hogart liegt, der selbst in brenzligen Situationen oft seine Klappe nicht halten kann und wohl auch nicht anders kann als sarkastisch zu sein. Dies ist übrigens nicht seine einzige schrullige Angewohnheit.
    Auch die anderen Figuren sind gut gezeichnet und weisen ebenso ihre ganz eigenen Eigenarten auf und sind für Überraschungen gut, egal ob Unsympathler, Antagonisten oder diejenigen, welche man von Anfang an ins Herz geschlossen hat.


    ">>Den Namen!<<, zischte sie.
    Bonnet zögerte kurz. 'Verdammt, der Name!' Im Moment konnte er keinen klaren Gedanken fassen.
    Im nächsten Augenblick zog die Frau Bonnets Gurgel über die rasiermesserscharfen Glaskanten."
    (S. 90)


    Der Schreibstil ist locker-flockig und das ist ebenso mit ein Grund, weshalb man durch diese spannende Story rast.
    Zudem hat Andreas Gruber auch einen wunderbar bildhaften Schreibstil, der Bilder im Kopf entstehen lässt, was nicht nur der Story selbst Leben einhaucht, sondern auch den Beschreibungen des Settings zugute kommt. Man erlebt neben der spannenden Story also auch so manche Pariser Sightseeing-Momente.


    "Aus einer Höhe von über hundert Metern hatten sie eine großartige Aussicht über die Stadt.
    Direkt vor ihnen lag der 'Parc du Champ de Mars', das Marsfeld mit den Kastanienbäumen und der beleuchteten Umrandung und auf der anderen Seite die Seine mit dem Trocadéro.
    Der dunkle Fluss zog sich mit seinen beleuchteten Uferstreifen wie ein geschwungenes Band durch Paris. Die Lichter spiegelten sich im Wasser."
    (S. 175)


    Während die meisten Bücher von Andreas Gruber von mir fünf Sterne erhalten oder für mich sogar ein Lesehighlight wurden, habe ich hier doch etwas zu bemängeln.
    So manches war für mich doch etwas zu konstruiert und unglaubwürdig. Das fing schon bei der französischen Polizei und deren Ermittlern an. Diese wirken nämlich alles andere als kompetent und scheinen zu blöd zu sein, um aus dem Bus zu winken.
    Dann waren, meiner Meinung nach, zu viele Personen in diesen Fall involviert. Normalerweise können es bei mir diesbezüglich nie zu viele Figuren sein, hier wirkte es jedoch zu überladen.
    Tja, und der darin vorkommende Inzest war meines Erachtens absolut too much und war selbst als "Schockmoment" einfach nur unpassend.

    Obwohl das der 3. Band der Peter Hogart-Reihe ist, kann man diesen auch sehr gut ohne Vorkenntnisse lesen. Aber Achtung - Suchtgefahr! Man wird sich die anderen Bände danach sowieso zulegen, also wieso nicht gleich chronologisch lesen? *g*

    Fazit:
    Trotz der oben genannten Mankos habe ich auch dieses Buch weginhaliert wie nix.
    Der Autor schafft es immer wieder, mich mit seinen Wendungen in die Falle zu locken und zu überraschen. Er schreckt auch nicht davor zurück sympathische Figuren über die Klinge springen zu lassen. Also Achtung!
    Für sensible Mägen und schwache Nerven sind Grubers Thriller nichts, denn es geht hier ordentlich und vor allem blutig zur Sache. Für mich ist es jedoch genau die richtige Mischung von blutig, spannend und Humor.

    © Pink Anemone

  • Meine Schwester, die Serienmörderin von Braithwaite, Oyinkan

    "Ein normaler Mensch wäre vielleicht sauer, aber ich verspüre in diesem Augenblick nur das dringende Bedürfnis, diese Leiche loszuwerden.
    Als ich ankam, trugen wir ihn als Erstes in den Kofferraum meines Wagens, damit ich schrubben und wischen konnte, ohne dabei sein kaltes Starren ertragen zu müssen."
    (S. 9)


    Die beiden Schwestern Korede und Ayoola sind nicht nur äußerlich völlig verschieden, sondern auch in allen anderen Dingen.
    Korede, die Ältere, steht mit beiden Beinen im Leben, arbeitet als Krankenschwester, ist klug, empathisch, findet sich selbst jedoch alles andere als hübsch. Ayoola hingegen ist eine wunderschöne Frau, weiß und hört das auch gerne, wickelt jeden um ihren Finger, hat eine narzisstische Ader ... und bringt ihre Liebhaber um.
    Während Ayoola jedes Mal beteuert, dass der Mann an allem schuld war, übernimmt Korede das Reinigen des Tatortes und lässt die Leichen verschwinden. Bis sich Ayoola in den Arzt Tade verguckt, den Korede heimlich anhimmelt.

    "Tade verstummt, und mir gefriert das Blut in den Adern. Ayoola befreit sich aus meinem Griff, aber das macht keinen Unterschied mehr, es ist ohnehin zu spät. Sobald sein Blick auf Ayooda fällt, weiten sich seine Augen. Er rückt seinen Arztkittel zurecht."
    (S. 61)


    Man liest aus der Sicht von Korede und man spürt schnell diesen Konkurrenzkampf in dem sie sich mit ihrer Schwester befindet. Sie bewundert ihre jüngere und hübsche Schwester, fühlt sich für sie verantwortlich, beschützt sie und will nicht, dass ihr etwas Schlimmes passiert. Gleichzeitig spürt man aber auch Neid und Missgust, die sie ihr gegenüber empfindet, denn selbst in der Familie bekommt Ayoola immer das was sie will - Zuspruch, Anerkennung und Liebe, während Korede auch hier das Nachsehen hat.
    Das Einzige was die beiden zu verbinden scheint sind die Aufräumarbeiten, nachdem Ayoola wieder einmal getötet hat. Während Ayoola nach den Morden wieder vergnügt durchs Leben tanzt und keinen Gedanken mehr daran verschwendet, versucht Korede alles, um nicht verdächtig zu erscheinen und der Druck in ihrem Inneren steigt. Der Einzige mit dem sie darüber redet, dem sie ihr Herz ausschüttet, ist ein Patient im Koma.

    "Vor wenigen Tagen erst haben wir einen Mann an das Meer übergeben, aber hier ist sie nun und tanzt.
    Ich lehne mich gegen den Türrahmen und beobachte sie, versuche und scheitere daran, zu verstehen, wie es in ihrem Kopf aussieht."
    (S. 41)


    Im Verlauf erfährt man nicht nur wie es im Inneren von Korede aussieht, sondern wirft auch einen Blick in die Familienverhältnisse und in das Arbeitsleben von Korede. Dabei schwingt immer ein verbitterter und auch verzweifelter Ton mit, was durchaus passend und authentisch ist. Doch obwohl sie ihre Schwester im Stillen verflucht, hält sie immer zu ihr, hilft ihr und glaubt ihr. Immerhin ist sie ihre ältere Schwester und das machen eben ältere Geschwister und außerdem - wer würde ihr schon glauben?


    Der Schreibstil ist schnörkellos und direkt und die Kapitel kurz und knapp. Dadurch fliegt man innerhalb weniger Stunden durch das Buch und obwohl ich es in kürzester Zeit verschlang, ließ es mich doch enttäuscht zurück.

    Es beginnt schon bei den Protagonisten. Sympathieträger findet man hier nicht, wobei das für mich nicht unbedingt ein notwendiges Kriterium ist um eine Story gut zu finden, sofern es zur Story passt. Das tut es definitiv, doch was mich störte waren die blassen Figuren.
    Obwohl man aus Koredes Sicht las, sie mir quasi ihr Inneres offenbarte und mir gleichzeitig auch Ayoola näher brachte, blieben sie beide blass und irgendwie nichtssagend. Mir waren die beiden bis zum Ende hin also in gewisser Weise völlig schnurz.

    Das wäre das Eine, das Andere ist, dass man überall liest, dass es ein feministisches Buch ist, welches die patriarchalen Zwänge Nigerias sichtbar macht. Ich habe weder das eine, noch das andere darin entdeckt. Im Grunde könnte die Geschichte überall spielen, denn Lagos, eine Großstadt in Nigeria, wird nur am Rande erwähnt und die patriarchalen Zwänge werden auch nur kurz angerissen ohne näher auf diese einzugehen.
    Zum Beispiel durch Koredes Einblick in die Erinnerungen an ihren Vater. Das ist natürlich harter Stoff, jedoch so distanziert transportiert und so schnell abgehandelt, sodass es mir nicht so sehr ans Herz ging wie es wohl sollte. Also auch hier wieder dieses Egal-Gefühl.
    Und wo der Feminismus steckt? Tja, keine Ahnung. Nur weil Ayoola schön ist und Männer ihr hinterherhecheln? Sie wurde nicht durch das Patriarchat zu dem gemacht was sie ist, sondern weil sie eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat, welche von Mutter und Schwester nicht erkannt und somit unwissentlich gefördert wurde. Sie ist was sie ist - eine Serienmörderin. Aus und Ende.

    "Als Ayoola an diesem Abend zurückkehrt, fasst sie die Rosen an, fotografiert sie und will das Bild gerade online stellen, als ich sie, schon wieder, daran erinnere, dass sie einen Freund hat, der seit einem Monat vermisst wird und um den sie trauern sollte.
    Sie macht einen Schmollmund. >>Wie lange muss ich denn noch langweiliges, trauriges Zeug posten?<<"
    (S. 85)


    Das Ende wird nicht jedem gefallen, doch während mich die gesamte Story und auch die Figuren nicht beeindrucken konnten, fand ich das Ende gut und vor allem, vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet, durchaus authentisch.
    Um das näher zu erklären, müsste ich spoilern, daher möchte ich nur zwei Wörter in den Raum werfen und zwar: Manipulation und Co-Abhängigkeit.


    Fazit:
    Ich habe mir nach all den vielen Rezensionen mit all den Lobhudeleien mehr erwartet und wurde leider dementsprechend enttäuscht.
    Der viel gepriesene Witz war meiner Meinung nach nicht vorhanden, ebenso nicht der erhoffte feministische Kampf gegen das patriarchale Regime Nigerias. Es ist einfach nur ein Roman zweier Schwestern, in der die eine ihre Liebhaber killt und narzisstische Tendenzen aufweist, während die andere zwischen Liebe und Rivalität hin- und hergerissen ist. Leider ohne Tiefe, denn dafür wird alles zu oberflächlich und schnell abgehandelt.
    Schade, denn Potenzial für etwas Großes war durchaus vorhanden.


    © Pink Anemone

  • Choose Cthulhu 1 - Cthulhus Ruf von Victor Conde; H.P. Lovecraft

    Im Winter 1926 erreicht dich die Nachricht über den mysteriösen Tod deines Großonkels George Gammell Angell, einem Professor für Sprachen an der Brown University. In welche Art von unheimlichen Studien war er verwickelt? Was hat es mit dieser schrecklichen Tonskulptur - zur Hälfte Drache, zur Hälfte Oktopus - auf sich, die sich unter seinen Hinterlassenschaften befindet?
    Wirst du den Mut aufbringen, dich der Herausforderung zu stellen, um gegen einen alten Kult zu kämpfen, der alptraumhafte Kreaturen aus Zeit und Raum verehrt? ... (Klappentext)

    ☬☬☬☬☬

    "Die Dinge, die du bisher im Verlauf deines Abenteuers gesehen hast, haben dich zu der Annahme gebracht, dass es hinter der natürlichen Welt, hinter dem Profanen, noch eine Wirklichkeit gibt, zu der nur wenige Zugang haben. Und diejenigen, die dorthin geglangen, werden wahnsinnig, weil sie die Mysterien, die jenseits liegen, nicht begreifen können."
    (S. 36)


    Man befindet sich im Jahr 1926 und schlüpft in die Rolle eines Anthropologie-Studenten.
    Eigentlich will man die Ferien und somit die Studienpause genießen, doch schlechte Nachrichten erwarten uns. Unser geliebter Großonkel ist verstorben. Zugegeben, mit 92 Jahren hatte er schon ein stattliches Alter und doch kommt sein Tod unerwartet, war er doch, trotz seines Alters, ein rüstiger Mann.
    Angeblich ist er auf seinem Nachhauseweg gestürzt und die schweren Verletzungen führten zu seinem Tod. Das Gefühl sagt uns aber etwas anderes und zwar, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Dieses Gefühl verstärkt sich, als wir seine Hinterlassenschaften durchgehen.
    Unser Onkel scheint etwas Mysteriösem auf der Spur gewesen zu sein - überall taucht das Wort "Cthulhu" auf und es ist die Rede von irgendeinem Kult. Wir beschließen natürlich dem nachzugehen.
    Das Abenteuer beginnt und der Wahnsinn ist nah.

    "Kein Licht leuchtet, nicht einmal vom Himmel (der Mond ist nicht zu sehen, und die Sterne sind wolkenverhangen), und die gesamte Landschaft sieht aus wie ein riesiges, schwarzes Leichentuch."
    (S. 70)


    Ich wurde von meinem Spielbuch-Dealer und -Berater vom Mantikore-Verlag gewarnt, dass dieses Spielbuch eher für Anfänger gedacht ist und ich mich womöglich langweilen werde. Doch ich möchte auch für absolute Anfänger Spielbücher vorstellen, die eventuell in kleinen Schritten in die interaktive Buchwelt eintauchen möchten.
    Außerdem bin ich absoluter H.P. Lovecraft-Cthulhu-Fan ("Anhänger" könnte hier eventuell missverstanden werden), ergo musste das Buch in mein Regal.


    Dieses Buch ist definitiv für Anfänger geeignet, aber nicht nur.
    Man benötigt hier weder Würfel, noch andere Utensilien, wie z.B. Stift und/oder Notizbuch. Es ist nämlich ein simples Read & Jump-Spielbuch. Das bedeutet, dass einem, je nachdem welche Entscheidung man trifft, im Buch gesagt wird, an welcher Stelle man weiterzulesen hat.
    Daher ist es von den getroffenen Entscheidungen abhängig, wie sich die Story entwickelt. So eben auch in diesem Spielbuch, welches einem in die okkulte Welt von H.P. Lovecraft entführt und wir dem Cthulhu-Kult auf den Fersen sind ... oder auch nicht.

    Man kommt hier bei den Ermittlungen ganz schön rum und erlebt so Einiges.
    Je nachdem wie man sich entscheidet begibt man sich zum Beispiel nach New Orleans, um einen Voodookult aufzuhalten, beobachtet einen jungen Mann im Schlaf, der von Alpträumen geplagt wird und währenddessen ein Gemälde zum Leben erwacht. Man kann sich auch nach Grönland begeben, um einen Inuto-Stamm zu besuchen, der, Gerüchten zufolge, einem dunklen und obskuren Kult huldigt oder man segelt in die andere Richtung und erfährt eventuell was aus der "TERROR" geworden ist. Und wem der Name "Captain Englehorn" etwas sagt, kann sich vielleicht vorstellen auf welcher Insel man noch landen kann.
    Man kann natürlich auch sterben oder, im typischen Lovecraft-Style, dem Wahnsinn verfallen. Dann endet das Abenteuer vorzeitig in der Gummizelle einer Nervenheilanstalt.

    "Die Wasserfarbe auf dem Gemälde scheint sich zu bewegen! Es ist, als wären die gemalten Figuren zum Leben erwacht und würden aus dem Rahmen auf den Boden tropfen.
    Siehst du das wirklich, oder bildest du es dir ein? Was verursacht dieses Phänomen? Liegt es an Wilcox' Traum oder an der Halskette? War Whiskey in deinem Kaffee, der dir zu Kopf steigt?"
    (S. 57)


    Ich habe für Euch natürlich alle möglichen Wege durchgespielt. Bin dafür 3x gestorben, habe 1x die Welt ins Chaos gestürzt, bin 1x zum Anfang katapultiert worden und satte 5x (!!) bin ich dem Wahnsinn verfallen. Meine Güte, was tut man nicht alles für seine Leserschaft.
    Obwohl ich mittlerweile schon ein kleiner Profi bin was Spielbücher angeht und mich nach der "Warnung" schon darauf eingestellt hatte mich zu langweilen, war das Gegenteil der Fall. Ich habe mich köstlich amüsiert.


    Das lag nicht nur am einfachen und knackigen Schreibstil des Autors und der düsteren Atmosphäre, die mich während des Lesens umgab. Vielmehr machte es Spaß die verschiedenen Wege einzuschlagen und spannend zu verfolgen wohin es mich wohl diesmal verschlägt.
    Man kann nicht nur dem Cthulhu-Kult entdecken, sondern so manch anderes und diese kleinen Schmankerln fühlen sich dann an wie kleine Eastereggs, wenn man die ein oder anderen Bücher/Filme kennt.

    "Es hat kein gutes Ende genommen, lieber Freund.
    Wenn du dies hier liest, so bedeutet das, dass alle Schrecken und Geheimnisse, auf die du im Verlauf deines Abenteuers gestoßen bist, zu viel für dich waren. Dein kleinlicher, westlicher, rationaler, menschlicher Verstand konnte es nicht ertragen, solchen Anblicken ausgesetzt zu sein, und du bist wahnsinnig geworden."
    (S. 83)


    Man springt jedoch nicht immer wie wild durch das Buch, denn die verschiedenen Storyverläufe mit ihren Sektionsnummern sind dann doch nacheinander angeordnet, ergo liest man hier dann doch Seite für Seite.
    Die Intention dahinter ist wohl, dass dadurch weniger die Möglichkeit besteht einen anderen Storyverlauf zu spoilern, was bei so einem dünnen Büchlein ja schnell der Fall sein kann.
    Auch hat man das Gefühl, dass Sektionsnummern fehlen, diese wurden jedoch durch ganzseitige Illustrationen ersetzt. Diese stammen aus der Feder des Zeichners Eliezer Mayor. Diese sind stimmungsvoll und sorgen zwischendurch für Abwechslung und zusätzliche Atmosphäre.

    Ich habe mir jedoch auch ein paar Rätsel erwartet, die hier leider überhaupt nicht vorkommen. Diese hätten dem Ganzen noch den gewissen Kick verliehen. Immerhin müssen die Protagonisten von H.P. Lovecraft auch immer irgendetwas dechiffrieren oder zusammensetzen.
    Zudem gibt es nur einen richtigen Weg, ergo ein Ende, zumindest wenn man nicht sterben oder wahnsinnig werden will. Auch hier hätte ich mir zumindest einen zweiten "richtigen" Weg als Möglichkeit erwartet.


    Im Anschluß gibt es noch ein Bestiarium und als besonderes Schmankerl die Kurzgeschichte "Cthulhus Ruf" von H.P. Lovecraft zu lesen.
    Die Übersetzung ist modernisiert und vereinfacht und daher für diejenigen geeignet, welche normalerweise keine Klassiker lesen. Ich persönlich bevorzuge dann doch die Bücher aus dem Festa-Verlag.

    "Die größte Gnade auf der Welt ist die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes all seine Inhalte in Beziehung zu setzen. Wir leben auf einer ruhigen Insel der Unwissenheit inmitten eines finsteren Meeres der Unendlichkeit ..."
    (S. 83)


    Fazit:
    Es ist ein simples aber dennoch spannendes und atmosphärisches Read & Jump-Spielbuch für zwischendurch. Ich selbst habe es mit allen möglichen Wegen innerhalb weniger Stunden durchgespielt und wurde, trotz der oben genannten Mankos, gut unterhalten.
    Man darf sich von so einem dünnen Buch eben nicht zu viel erwarten, vor allem keine Rätsel ... leider.
    Für Anfänger, Read & Jump-Spielbuch-LiebhaberInnen, Lovecraft-Fans und vor allem, wenn man so manche Filme/Bücher kennt, ist es jedoch ein amüsanter Zeitvertreib, inklusive toller Illustrationen und kleiner Eastereggs.


    © Pink Anemone (mit vielen Bildern aus dem Buch, Book-Soundtrack "Cthulus-Ambience" und Infos zu Autor und Illustrator)

  • Kleine Wunder um Mitternacht von Keigo Higashino

    Es ist kurz vor Mitternacht, als drei junge Einbrecher in einen verlassenen Gemischtwarenladen eindringen, um nach ihrem Raubzug unterzutauchen. Doch Atsuya, Shota und Kohei wird keine ruhige Stunde bis zum Morgengrauen gewährt: Ein Brief wird von außen durch einen Schlitz in den Laden geworfen, obwohl in der Dunkelheit vor der Tür kein Mensch zu sehen ist. Als ihn die erstaunten Kleinkriminellen öffnen, beginnt eine unglaubliche Geschichte, die eine Nacht lang das Leben unzähliger Menschen verändern wird – und eigentlich begann sie vor über dreißig Jahren, als ein weiser alter Mann mit seinen Worten kleine Wunder vollbringen konnte... (Klappentext)

    ❃❃❃❃❃


    "Am 13. September, von einer Minute nach Mitternacht bis Tagesanbruch, wird Namiya Gemischtwaren für eine einzige Nacht wiedereröffnen. Wir bitten jeden, der jemals um Rat gebeten und ihn erhalten hat, um seine ungeschminkte Meinung. Wie hat sich dieser Rat auf Ihr Leben ausgewirkt? Fanden Sie ihn hilfreich oder nutzlos? Bitte werfen Sie Ihre Briefe in den Schlitz im Rollladen, wie in alten Zeiten. Wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören.
    (S. 301)


    Ein altes verlassenes Haus am Ende der Straße, ein angrenzender Gemischwarenladen, ebenso verlassen und verschlossen durch einen Rollladen. Das scheint das ideale Versteck für die drei Kleinkriminellen Atsuya, Shota und Kobei zu sein. Nach einem Raub flüchten sie mitten in der Nacht in diesen Laden, um abzuwarten bis es Tag wird.
    Plötzlich wird ein Brief durch den Briefschlitz des Rollladens in den Laden geworfen und kein Mensch weit und breit ist zu sehen. Nachdem der Schreck der drei Männer abgeklungen ist, erwacht die Neugierde und sie beschließen den Brief zu lesen. In diesem schüttet eine Frau, die sich nur 'Mondhase' nennt, ihr Herz aus und bittet um eine Lösung ihres Problems. Dieser Brief ist an den einstigen Besitzer Yuji Namiya gerichtet, der wohl Antworten auf die schwierigsten Fragen und Probleme hatte. Damals fungierte der Laden wohl auch als Kummerkasten. Allerdings müsste Namiya inzwischen über 100 Jahre alt sein, dieser Laden ist seit Ewigkeiten verlassen, also wer schreibt jetzt noch Briefe an ihn?
    Während Atsuya das alles als Irrtum abtut, beschließen die anderen beiden einfach zurückzuschreiben. Immerhin muss man doch irgendwie die Zeit totschlagen und 'Mondhase' tut ihnen leid. Doch kaum haben sie die Antwort in den Milchkasten geworfen, erhalten sie den Antwortbrief von 'Mondhase', wieder durch den Briefschlitz geworfen und wieder kein Mensch weit und breit zu sehen.
    Dies ist jedoch nicht das Mysteriöseste, denn auch die Zeit steht in dem Laden still und die Briefe von 'Mondhase' scheinen aus der Vergangenheit zu stammen. Die Männer beschließen trotzdem in dem Laden zu bleiben und es entbrennt eine Korrespondenz zwischen den Zeiten, die nicht nur Einfluß auf die drei Einbrecher hat, sondern auf viele anderen auch - in der Gegenwart und in der Vergangenheit.


    "Der Briefschlitz und der Milchkasten sind mit der Vergangenheit verbunden. Wenn jemand von früher einen Brief in den Laden in dieser vergangenen Welt wirft, landet er hier in der Gegenwart. Und genauso fällt ein Brief, den wir in den Milchkasten legen, in den Milchkasten der Vergangenheit."
    (S. 41)


    Wie auch die drei Einbrecher wird man selbst in diese Geschichte hineingesogen, in der der Schleier zwischen Vergangenheit und Gegenwart dünn ist und die Zeit gleichzeitig still steht.

    Im Verlauf liest man aus verschiedenen Perspektiven und beobachtet das Leben unterschiedlicher Figuren, welche mit Schicksalsschlägen, schweren Entscheidungen und unerfüllten Träumen zu kämpfen haben.
    Wie z.B. die schon erwähnte 'Mondhase' - eine junge und vielversprechende Sportlerin, welche hin- und hergerissen ist. Sie trainiert für die Olympischen Spiele, doch ihre große Liebe erkrankt an Krebs und hat nicht mehr lange zu leben. Ihr Freund, ebenfalls Sportler, möchte jedoch, dass sie weitertrainiert, um so für sie beiden den Lebenstraum von Olympia zu erfüllen. Sie aber möchte viel lieber die Zeit, die sie noch zusammen haben, bei ihm verbringen.

    Oder Katsuro, der sein Elternhaus verlassen hat um BWL zu studieren. Sein Traum sieht jedoch ganz anders aus - er will Musiker werden und dafür würde er alles aufgeben. Doch dieser Traum gerät ins Wanken, als er für eine Beerdigung nach Hause kommt.


    "Andererseits war sie vielleicht doch nicht irre und alles real, auf eine märchenhafte Art und Weise. Möglicherweise fand er eine Lösung für sein Problem. Etwas, das ihm half, sein Leben in die richtige Richtung zu lenken. Auf alles vorbereitet, sowohl auf Enttäuschung, als auch auf Überraschung, erklomm Katsuro jetzt den Hügel, bis er vor der verwitterten Fassade des Ladens stand."
    (S. 113)


    Dies sind nur zwei schicksalhafte Leben von vielen und natürlich erfährt man auch die Geschichte des Ladeninhabers Yuji namiya - wie alles begann, wie es sich entwickelte, endete und zu dem führte was nun geschieht.

    Dabei reist man mit den Figuren in die Vergangenheit und es werden, unter anderem, die Olympischen Spiele 1980 und deren Boykott und auch die Beatlemania thematisiert, inklusive des ein oder anderen Musikhits.


    "Ich behandle jeden Brief als Hilfeschrei. Diese Menschen sind nicht anders als wir. Sie haben ein Loch in ihrem Herzen, und etwas Lebensnotwendiges sickert heraus."
    (S. 143)


    Der Schreibstil ist klar, flüssig und lässt einen in eine fantastische Geschichte eintauchen, welche vom Zusammenspiel von Schicksal, zufälligen Entscheidungen und natürlich einem magischen Wunder bestimmt wird. Eine Geschichte, die voller schöner und tragischer Momente steckt, einen zum Schmunzeln und zum Weinen bringt (ja, selbst mich, die nicht wirklich nah am Wasser gebaut ist) und auch zum Nachdenken anregt.

    Umhüllt von dichter Atmosphäre verfolgt man gespannt die verschiedenen Schicksale dieser völlig unterschiedlicher Menschen, deren Leben auf so unglaubliche Art und Weise im Verlauf zusammengeführt und verknüpft werden.
    Hierbei kann man sich auf so einige fantastische Twists gefasst machen, die am Ende zu einem großen Ganzen führen. Das hat der Autor wirklich auf so geniale und stimmige Weise geschafft, dass ich selbst nach dem Beenden noch völlig begeistert und mit einem zufriedenen Lächeln hier sitze.
    Es ist eine Story mit einem Butterfly Effekt vom Feinsten und mit einem Hauch Phantastik!


    "Der Laden sah noch genauso aus wie damals, als sie ihre Briefe eingeworfen hatte. Das Schild war praktisch nicht mehr zu entziffern, und Rost überzog die Ränder des Rollladens, aber das Gebäude verströmte die tröstliche Wärme, die ein alter Mann seiner Enkelin entgegenbrachte."
    (S. 388)


    Die Aufmachung des Buches darf nicht unerwähnt bleiben, denn schon das Cover alleine ist ein Blickfang - silbrig glänzende Pastelltöne machen es einfach zu einem Hingucker. Die Hardcover-Ausgabe ist qualitativ hochwertig und enthält auch noch ein Lesebändchen.

    Fazit:
    Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, welches mich fasziniert und gespannt die Seiten umblättern ließ. Welches mich so berührt und gefesselt hat, mich so in die Geschichte hinein sog und mich dadurch so intensiv am Schicksal der Protagonisten teilhaben ließ.
    Die Twists und die ans Herz gehende Story, die voller Wunder und auch Phantastik steckt, hat mich schlichtweg aus den Pantoffeln gekippt.
    Am liebsten möchte ich in das Buch hineinkriechen und mich für immer im Namiya Gemischtwarenladen verstecken, alles nochmals erleben, mit all den Tränen und dem magischen Zusammenspiel zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
    Was für ein Lesehighlight!

    © Pink Anemone (auf dem Blog mit Bildern, Book-Soundtrack, Rezept zum Buch, Leseprobe und Autoreninfo)

  • Middlemarch von Eliot, George

    Die Grenzen des Dorfes sind die Grenzen unserer Welt. Das akzeptieren vielleicht die restlichen Bewohner von Middlemarch, aber nicht Dorothea und Tertius. Wieso sollte einer jungen Frau der Zugang zu Wissen und Geist verschlossen bleiben, wenn die alten Männer damit nur Schindluder treiben? Und warum sollte ein junger Arzt nicht neue Methoden anwenden dürfen, wenn man dadurch Menschenleben retten kann? Neugier ist Pflicht für Dorothea und Tertius. Und um ihre Pflicht zu erfüllen, setzen sie vieles aufs Spiel... (Klappentext)

    ❃❃❃❃❃


    "Nichts auf der Welt ist so unaufdringlich wie der Prozess dieses allmählichen Wandels! Am Anfang atmeten sie ihn ohne Wissen ein; du und ich, wir haben sie vielleicht etwas mit unserem Atem angesteckt, wenn wir unsere falschen Zustimmungen äußerten oder unsere dümmlichen Schlußfolgerungen zogen; oder vielleicht kam es mit den Schwingungen aus dem blick einer Frau."
    (S. 201)


    Man begleitet hier drei Paare, die in einer Kleinstadt namens 'Middlemarch' ihrem Schicksal begegnen.

    Dorothea Brooke, die eine Ehe mit dem viel älteren und konservativen Gelehrten Mr. Casabaun eingeht.
    Ihre Beweggründe waren jedoch weniger romantischer Natur, sondern um ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen und dadurch nebenbei alles Wissen aufzusaugen. Mr. Casabaun jedoch wollte im Grunde nur eine bessere Sekretärin und Vorleserin, die ihn und seine Arbeit anhimmelt.
    Anfangs scheint diese Ehe zu funktionieren. Dorothea unterwirft sich ihm, macht alles für ihn um ihn glücklich zu machen, denn wenn er glücklich ist, ist auch sie glücklich. Bis sein Mündel und Vetter Will Ladislaw die Bühne betritt und Dorothea es wagt ihren Ehemann das erste Mal zu kritisieren.
    Selbst nach seinem frühen Tod möchte Mr. Casabaun das Leben Dorotheas kontrollieren und scheint es auch zu schaffen.

    Dann lernt man den jungen Arzt Tertius Lydgate kennen, der neu in der Kleinstadt ist und große Pläne hat. Er möchte die neuesten erlernten medizinischen Methoden nach Middlemarch bringen und seine Forschungen vorantreiben. Er ist dafür bereit ohne Bezahlung im Krankenhaus zu arbeiten und möchte sein Leben einzig seiner Forschung widmen.
    Bis Rosamond in sein Leben tritt. Sie kommt aus gutem Hause, ist wunderschön und entspricht ganz seinem konservativen Frauenbild. Doch Rosamund ist nur das Beste vom Besten gewohnt, verwöhnt, eingebildet und sieht in ihm vor allem die Möglichkeit in der Gesellschaft aufzusteigen, damit alle anderen vor Neid platzen.
    Die rasche Ehe beruht eher auf einem Missverständnis, in das Tertius hineinstolpert, doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb diese Ehe zum Scheitern verurteilt ist. Während er nicht vorhandenes Geld verprasst, um alle Wünsche Rosamondes zu erfüllen, hat er nämlich nicht nur mit dem Widerstand der alteingesessenen Ärzte zu kämpfen.

    Dann hätten wir da noch Mary Garth, eine kluge und empathische junge Frau aus bürgerlichem Haus, die mit beiden Beinen fest im Leben steht, sich nicht so leicht blenden oder um den Finger wickeln lässt und konkrete Vorstellungen hat, wie ihr Ehemann zu sein hat.
    Ihr Kind- und Jugendfreund Fred Vincy ist das Gegenteil - aus der Oberschicht, ein kleiner Hansdampf, der noch nicht so recht weiß wo er steht und was er will. Er ist unsterblich in Mary verliebt, doch bevor sie ihn heiratet, muss er sich erst bewähren und sein Leben grundlegend ändern.


    "Dies war es, was Dorothea so kindlich machte und, einigen Urteilen zu folgen, so dumm bei all der Klugheit, die man ihr nachsagte; wie zum Beispiel gerade jetzt, wo sie sich - bildlich gesprochen - Mr. Casabaun zu Füßen warf und seine unmodischen Schnürsenkel küsste, als wäre er ein protestantischer Papst."
    (S. 78)


    Schon alleine die Geschichten dieser drei Paare könnte Bücher füllen, doch die Autorin Mary Ann Evans beschränkt sich nicht nur auf diese sechs Protagonisten.
    Es ist auch kein, wie viele nun eventuell vermuten, Liebesroman, denn die Liebe und Romantik spielen hier eher eine untergeordnete Rolle. Viel mehr ist es eine soziologische Gesellschaftsstudie in einer Zeit des Umbruchs.
    Der Beginn von etwas Neuem, welches das Alte langsam verdrängt, eine neue Generation wächst heran und ist dabei mit alten Traditionen und veraltetem Wissen zu brechen. Es ist eine Geschichte der gesellschaftlichen Emanzipation.

    Mit Feminismus hat das Buch also nur wenig zu tun, auch wenn das oft und gerne als Marketingaufhänger benutzt wird.
    Dies wird vor allem klar, wenn die Autorin auf die damaligen politischen Ereignisse eingeht, wie zum Beispiel die Reformation (Reform Act 1832) oder in Bezug auf die damalige Ökonomie und beginnende Industrialisierung.


    "Im Kreisbezirk, zu dem Middlemarch gehörte, war die Eisenbahn ein ebenso aufregendes Thema wie das Reformgesetz oder die drohenden Schrecken der Cholera, und vor allem die Frauen und die Gutsbesitzer hatten darüber die ausgeprägtesten Ansichten."
    (S. 733)


    Doch auch vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet enthält dieses Buch ganz großes Kino, stehen doch vor allem zwischenmenschliche Beziehungen im Vordergrund und das Schicksal ist hier ein ganz großes Thema.
    Wie reagieren die einzelnen Figuren auf Schicksalsschläge, wie werden sie damit fertig zu scheitern und wie gehen sie daraus hervor? Im Verlauf entwickeln sich die Figuren, ob nun positiv oder negativ, ergo auch hier geht es um die Entwicklung.

    Wer nun denkt, dies wird auf trockene Art und Weise an die Leserschaft gebracht, der irrt gewaltig.
    Man taucht in eine typische Kleinstadtwelt ein, eine Welt voller Klatsch und Tratsch, Missgunst und Neid und politischen und familiären Intrigen, inklusive Erbschleicherei. Es kommt zu spannenden, tragischen und traurigen Momenten, sowie überraschenden Wendungen.

    Die Figuren sind vielschichtig gezeichnet, selbst Nebenfiguren enthalten Tiefe und die ein oder andere sorgt auch für ein Schmunzeln.
    Auf den ersten Blick waren mir die meisten Figuren, allen voran Dorothea, eher unsympathisch, doch hier ist keine Figur nur schwarz oder weiß gezeichnet und dadurch kommt die Entwicklung im Verlauf der Geschichte jedes einzelnen umso mehr zur Geltung.
    Jede Figur, und mag sie noch so unwichtig erscheinen, ist ein wichtiger Bestandteil in dieser Geschichte. Im Verlauf greifen alle Zahnrädchen ineinander und ergeben ein großes Ganzes. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass eine nur sporadisch auftretende Figur auf jeden einzelnen Protagonisten im Städtchen Middlemarch Einfluss hat, um einige schließlich in den Abgrund zu reißen.


    "Doch jeder, der genau die geheimnisvollen Wege beobachtet, die die menschlichen Schicksale zusammenführen, sieht, wie sich ganz langsam die Einflüsse des einen Lebens auf ein anderes ankündigen, was die Gleichgültigkeit oder den kalten Blick, mit dem wir einen noch fremden Nachbarn anstarren, fast als eine wohlberechnete Ironie ausweist. Das Schicksal steht voll Sarkasmus daneben und hält die Fäden unserer 'dramatis personae' fest in der Hand."
    (S. 136)


    Wenn man zeitgenössische Romane gewohnt ist, ist der Schreibstil der Autorin anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, was jedoch bei allen Klassikern aus dieser Epoche der Fall ist.
    Ich musste mich, wie immer, erst an die langen Schachtelsätze gewöhnen, doch nach nur paar wenigen Seiten war ich in der Geschichte gefangen.
    Die Autorin macht es einem aber auch leicht, da sie zwischendurch auch trockenen Humor und Sarkasmus einstreut.
    Zwischendurch wendet sie sich dabei an den/die LeserIn selbst und jedes Kapitel wird durch ein Motto eingeleitet. Viele davon stammen aus ihrer eigenen Feder.
    Doch auch der Übersetzer Rainer Zerbst hat hier hervorragende Arbeit geleistet.


    "Bei Frauen erwartete man keine festen Überzeugungen; überhaupt bestand die beste Garantie für Gesellschaft und Familienleben darin, dass man überhaupt nicht nach seinen Überzeugungen handelte. Vernünftige Leute taten, was ihre Nachbarn taten, sodass man Verrückte, falls irgendwelche auf freiem Fuß waren, erkennen würde und ihnen aus dem Weg gehen konnte."
    (S. 24)


    Ich äußere mich nur selten über die Aufmachung eines Buches, doch hier muss es einfach sein, denn der dtv-Verlag hat hier großartige Arbeit geleistet. Wunderschöne Umschlaggestaltung und das qualitativ hochwertige Hardcover mit Lesebändchen sind ein wahrer Augenschmaus.
    So macht es gleich nochmal so viel Spaß in diesem Buch zu lesen, möge es noch so schwer sein. Zudem ist es dadurch ein toller Hingucker im Bücherregal. Vor allem bei Klassikern greife ich daher gerne zu solchen HC-Ausgaben, da diese in meinen Regalen bleiben dürfen.
    Da der dtv-Verlag vor allem in Bezug auf Literaturklassiker mein absoluter Favorit ist, hätte ich nichts dagegen, wenn mehr Klassiker in dieser wunderschönen Aufmachung erscheinen würden.

    Wie jeder Literaturklassiker aus dem dtv-Verlag, enthält auch diese Ausgabe ein interessantes Vorwort, diesmal von Elisabeth Bronfen, und ein ebenso interessantes wie auch informatives Nachwort des Übersetzers Rainer Zerbst. Da das Vorwort jedoch gewaltig spoilert, sollten diejenigen, die "Middlemarch" noch nicht kennen, dieses erst am Ende lesen.
    Zum besseren Verständnis sind natürlich auch reichlich Fußnoten mit Anmerkungen vorhanden.

    Auch dies alles Gründe, weshalb ich bevorzugt Klassiker aus dem dtv-Verlag wähle und weil hier wirklich gute ÜbersetzerInnen am Werk sind. Bei Letzterem bin ich nämlich wirklich etwas pingelig.

    Fazit:
    Einen Monat hab ich an diesem Wälzer von 1152 Seiten gelesen. Obwohl dieser durchaus ein paar Längen enthält, die politischen Ereignisse waren mir manchmal doch etwas zu trocken, reiste ich immer wieder gerne in das Städtchen Middlemarch und verfolgte gespannt Klatsch und Tratsch, Intrigen und vor allem die unterschiedlichen Entwicklungen der Figuren.
    Wie gerne würde ich all das Gelesene wieder vergessen, um alles wieder neu lesen und entdecken zu dürfen.

    © Pink Anemone (mit vielen Bildern aus dem Buch, Leseprobe und Autoren-Info)

  • Der Fall Jane Eyre von Jasper Fforde

    Können Sie sich eine Welt vorstellen, in der Literatur so wichtig genommen wird, dass es eine Spezialpolizei gibt, um sie vor Fälschern zu schützen? Als Geheimagentin Thursday Next ihre neue Stelle in Swindon antritt, ahnt sie schon, daß ihr die größte Herausforderung ihrer Karriere bevorsteht: Niemand anderes als der Erzschurke Acheron Hades hat Jane Eyre aus dem berühmten Roman von Charlotte Brontë entführt, um Lösegeld zu erpressen. Eine Katastrophe für England, das mit dem seit 130 Jahren tobenden Krimkrieg schon genug Sorgen hat. Aber Thursday Next ist eine Superagentin: clever und unerschrocken. Und wenn sie wirklich mal in die Klemme gerät, kommt aus dem Nichts ihr von den Chronoguards desertierter, ziemlich anarchistischer Vater, um für ein paar Minuten die Zeit anzuhalten... (Klappentext)

    ❃❃❃❃❃


    "Der Wachmann, der im Haus seinen Rundgang machte, hörte Acheron nicht kommen. Sein lebloser Körper wurde später unter dem Ausgußbecken gefunden. Lautlos stieg Hades die Treppe hinauf. Dabei hätte er soviel Lärm machen können, wie er nur wollte. Er wußte, dass ihm die Wachleute mit ihren 38ern nichts anhaben konnten, aber mir nichts, dir nichts hineinzuspazieren und sich zu bedienen machte einfach keinen Spaß."
    (S. 270)


    Dies ist der 1. Band einer ganz besonderen Buchreihe, welche einem in eine abgefahrene Parallelwelt der 80er Jahre katapultiert.
    Eine Welt, in der zwar die Computer erfunden wurden, es aber Luftschiffe gibt, eine Welt in der England seit 130 Jahren Krieg mit den Russen um die Krim führt, in der manche Spezialisten durch die Zeit reisen können und, und das ist das Wichtigste, eine Welt in der sich alles um Literatur dreht. So werden z.B. von Kindern Sammelkarten mit AutorInnen getauscht, die Baconiers klopfen an Türen und wollen die Menschen bekehren zu glauben, dass Francis Bakon die Shakespeare-Werke geschrieben hat und es gibt natürlich Spezialeinheiten, welche sich der literarischen Kriminalität entgegenstellen.
    Zu einer dieser Einheiten gehört auch Thursday Next, die Protagonistin. Genauer gesagt arbeitet sie als Literaturagentin und sie macht Jagd auf den Superschurken unter den Kriminellen - Acheron Hades. Diesem wird zur Last gelegt das Originalmanuskript "Martin Chuzzlewit" von Charles Dickens aus dem Museum entwendet zu haben.
    Da der Täter keinerlei Spuren hinterließ und nicht einmal von den Kameras entdeckt wurde, kann es nur Acheron Hades gewesen sein. Doch was will er mit diesem Manuskript?
    Thursday war ihm knapp auf den Fersen, doch dieses Zusammentreffen überlebte sie nur knapp. Für sie ist klar - bei diesem Mistvieh von Schurken muss sie härtere Geschütze auffahren, denn Acheron Hades scheint nicht nur Meister der Manipulation und Täuschung zu sein, sondern nahezu kugelsicher. Wie will man so einen zur Strecke bringen? ... Und die Jagd beginnt.


    ">>Er verfügt über bemerkenswerte Fähigkeiten. Deshalb dürfen wir auch seinen Namen nicht laut aussprechen. Ich nenne das die Regel Nummer Eins.<<
    >>Seinen Namen? Warum nicht?<<
    >>Weil er seinen Namen - selbst wenn man ihn nur flüstert - im Umkreis von mindestens tausend Meilen hören kann. Mit seiner Hilfe nimmt er sozusagen unsere Witterung auf.<<"
    (S. 32)


    Mit dem Einstieg tat ich mir anfangs etwas schwer, da man von der ersten Seite an in diese irre Parallelwelt geworfen wird. Nach ca. 50 Seiten gewöhnte ich mich jedoch an diese Welt und begann sie so richtig zu genießen.
    Im Verlauf lernt man diese Welt immer besser kennen, genau wie auch die Protagonisten selbst. Mit ihr erlebt man nicht nur völlig skurrile Grundgesetze, die in dieser Welt herrschen, sondern auch ebenso skurrile Personen. Dabei nimmt der Autor häufig Bezug auf die Literatur, vorzugsweise britische Klassiker. Da hätten wir z.B. Onkel Mycroft und Tante Polly. Na? Kommen Euch diese Namen nicht irgendwie bekannt vor?
    Es gibt hier für bibliophile Nerds also unheimlich viel zu entdecken, vor allem, wenn man den ein oder anderen Klassiker kennt, was für zusätzlichen Lesespaß sorgt.


    ">>Er könnte ja in das Buch auch vorsätzlich hineingesprungen sein. Und dann hat es ihm in dem Roman so gut gefallen, dass er einfach dortgeblieben ist.<<
    Victor blickte mich argwöhnisch an. Aus Angst für einen Springer gehalten zu werden, hatte er es nicht gewagt, jemanden von seiner Theorie zu erzählen, und nun kam auf einmal eine Londoner Literatur Agentin daher, kaum so alt wie er, und ging weiter, als er es sich je hätte vorstellen können. Da traf ihn die Erkenntnis.
    >>Sie haben es selbst schon mal gemacht, stimmt's?<<"
    (S. 213)


    Der Schreibstil ist flüssig und der Autor weiß Spannung zu erzeugen. Zudem hat er eine einzigartige Welt erschaffen, die voller Liebe zur Literatur steckt und in der alles anders ist als in unserer Welt.
    Dies war anfangs für mich etwas verwirrend, da man, wie schon erwähnt, in diese Welt hineingestoßen wird ohne Zeit zu haben sich auf diese einzustellen. Gleichzeitig beschreibt er diese Welt, als wäre es für ihn das Normalste auf der Welt und das machte es schließlich zu einem kleinen Erlebnis diese Welt zu entdecken.

    Die Kapitel sind zudem kurz und werden durch Anekdoten aus Sach- und Fachbüchern aus dieser Welt eingeleitet, wie z.B. aus verschiedenen Geschichtsbüchern oder Biographien, die einem ebenso Einblick in diese verrückte Welt werfen lassen.

    Die Figuren und allen voran die Protagonistin Thursday Next, sind wunderbar und facettenreich gezeichnet. Man begegnet hier nicht nur Schurken und Figuren, die man sofort ins Herz schließt, sondern auch skurrilen und nicht ganz durchschaubaren Figuren.

    Auch für Spannung und Action wird hier gesorgt, inklusive überraschender Wendungen und äußerst schrägen und trockenen Humor. Und so stürzt man sich mit der einzigartigen und selbstbewussten Thursday in irrwitzige Missionen und Abenteuer.


    "Der Geruch von versengter Kleidung stieg mir in die Nase. Ich wich zurück, als eine grelle, orangerote Flamme aus seinem Jackett schlug. Sie setzte seinen Körper in Brand, und wir räumten eilig das Feld, während er in der starken Hitze bis zur Unkenntlichkeit verkohlte; das Ganze dauerte keine vierzig Sekunden..."
    (S. 261)


    Leider nimmt jedoch Jane Eyre selbst nur eine untergeordnete Rolle ein und wird erst gegen Ende präsent, was mich persönlich ein kleines bisschen enttäuschte. Für das Buch wäre wohl der Titel "Der Fall Martin Chuzzlewit" passender gewesen.

    Fazit:
    Für einen Buchnerd wie mich, der auch die klassische Literatur liebt, war dieses Buch ein ganz besonderes Erlebnis.
    Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten lernte ich rasch diese schräge Welt kennen und vor allem lieben. Am Ende wollte ich daraus überhaupt nicht mehr auftauchen und daher ist für mich klar, dass ich diese Reihe weiterverfolgen werde. Denn was gibt es Schöneres, als in eine verrückte Welt einzutauchen, die sich ganz der Literatur verschrieben hat?

    © Pink Anemone (inkl. Leseprobe, Autoren-Info und Rezept zum Buch "Stanfords berühmtes Krabben-Sandwich")

  • Licht und Schatten von Zoran Drvenkar

    "Der Tod ist ein Habicht, der auf dem Wipfel einer Kiefer sitzt und wartet. Er ist nicht hungrig, er verspürt keine Kälte, und würde man ihn fragen, würde der Habicht zugeben, dass er kein Habicht ist. Der Tod ist immer ein Teil des Landes, der Menschen, Pflanzen und Tiere. Er zeigt sich in der Nacht und im Sonnenschein, er atmet unter Wasser und schläft im Fels."
    (S. 9)

    In einem kleinen sibirischen Dorf anno 1704 liegt eine Frau in den Wehen. Zu dieser Zeit, in der der eisige Winter übers Land fegt, werden normalerweise keine Kinder geboren, doch diese Mutter ist nicht wie alle anderen.
    An diesem Tag liegen Licht und Schatten nah beieinander, ergänzen sich und gehen Hand in Hand, denn während die Mutter bei der Geburt stirbt, wird ein Kind des Lichts geboren, ein Kind namens Vida.
    Vida ist ein aufgewecktes Mädchen, welches vom Vater vergöttert und von den Tanten in der Naturmagie unterrichtet wird. Noch weiß sie nicht was das Schicksal für sie bestimmt hat und welche Aufgaben auf sie warten. Doch Vida wäre nicht Vida, wenn sie nicht selbst hier ihren Kopf durchsetzen würde, denn Vida kann mit den Toten sprechen und so geht das Licht wieder mit den Schatten Hand in Hand.

    "Jeden Vogelruf ahmte sie perfekt nach, jede Tierspur war ihr vertraut und sie konnte sich lautlos anschleichen und den rauen Pelz eines schlafenden Fuchses berühren, wenn ihr danach war. Die Tanten lehrten sie, zu riechen und zu schmecken, sie brachten ihr bei, genauer hinzuschauen und sich die Zeit zu nehmen, damit sie sah, was nicht gesehen werden wollte."
    (S. 42)

    Gemeinsam mit Vida lernt man diese Welt mit ihren kalten und entbehrungsreichen Wintern, mit ihrer Magie, den Sagen und Legenden kennen. Dabei erfährt man wer Vida wirklich ist.
    Da Vida nämlich ein Kind des Lichts ist, kann sie nicht nur mit den Toten sprechen, sondern besitzt noch eine weitere Gabe. Sie versteht die Natur auf intensive Art und Weise, wie es andere nicht vermögen.
    Man erlebt mit Vida ihre Kindheit und wie sie langsam erwachsen wird. Und so sitzt man neben ihr als sie zum Beispiel einem Krieger Dschingis Khan bei einem Lagerfeuer versucht zu erklären, dass er seit fünfhundert Jahren tot ist, man rettet ein Bärenjunges und auch einen Raben, welcher jedoch kein Rabe ist und vieles mehr.
    Dabei taucht man in eine fantastische Welt voller Naturmagie ein, welche einem während des Lesens mit einer ganz eigenen Atmosphäre umgibt.

    ">>Du musst neugierig bleiben, Vida, du musst Grenzen überschreiten, damit du sie respektieren lernst. Versagen gehört zum Leben dazu, und du wirst immer wieder versagen, ehe du an dein Ziel kommst. Dennoch solltest du aufpassen, welchem Ruf du folgst.<<"
    (S. 126)

    Man liest aus auktorialer Erzählperspektive und begleitet dabei nicht nur das Mädchen Vida, sondern auch einen Wächter, welcher die Ankunft Vidas erwartete und der erschaffen wurde, um Vida zu finden und zu zerstören. Oder aus der Sicht der Göttin der Dunkelheit, deren Existenz durch Vida bedroht wird. Und somit ist man auch dabei als die Welt erschaffen wurde, wie eine neue Weltordnung entstand und das Böse Einzug hielt.

    "An solchen Tagen musste sie sich daran erinnern, was sie zur Göttin gemacht hatte - sie war die Dunkelheit, die das Licht verdrängt und das Böse auf diese Welt gebracht hatte. Sie war alles, alles war sie. Wegen ihr wurden Kriege geführt, Lügen gesät und Intrigen geschmiedet, aber sie war gleichzeitig auch eine große Inspiration, denn jede Zerstörung zog einen Aufbau nach sich."
    (S. 240)

    Der Schreibstil ist flüssig und klar, die Story voll dichter Atmosphäre und Tiefe und die Figuren weder nur gut, noch nur böse, sondern facettenreich wie das Leben selbst.
    Dabei ist man umgeben von wundervollen Natur- und Settingbeschreibungen, wobei die Natur mit der Magie Hand in Hand geht.

    Fazit:
    Hier tauchte ich in eine Geschichte und eine Welt ein, die mich an Märchen, Sagen und Legenden aus längst verangener Zeit erinnerte. Eine Zeit, in der die Natur mit der Magie eng verbunden war. Eine Geschichte mit unglaublich dichter Atmosphäre, wundervollen und auch tragischen Momenten.
    Das war für mich eines jener Bücher, in dem ich stundenlang versank, die Atmosphäre genoß, dabei die Umgebung um mich herum vergaß und aus dem ich nicht mehr auftauchen wollte. Ein Buch, welches mich traurig stimmte, als es zu Ende war und am liebsten hätte ich es gleich nochmals gelesen.
    Ein ganz besonderes Lesehighlight!

    © Pink Anemone (inkl. Leseprobe, Book-Soundtrack und Rezept zum Buch "Solomons veganer Bohneneintopf")

  • ">>Mythen sind nichts anderes als Geschichten über Wahrheiten, die wir vergessen haben.<<"
    (S. 37)

    Es ist Januar und der Winter hat Boston wieder einmal fest im Griff. Für Magnus Chase nichts Neues, lebt er doch schon seit zwei Jahren auf der Straße. Seit dem Tag als seine Mutter auf mysteriöse Weise umkam. Den letzten Rat, dem sie ihm mitgegeben hat war, dass er sich vor ihrer Familie und vor allem vor Onkel Randolph in Acht nehmen muss.
    Doch nun sucht ihn gerade dieser. Alles nur weil er heute 16 Jahre wird und es für Magnus deshalb Zeit wird ein ganz besonderes Erbe anzunehmen, welches ihm sein Vater hinterlassen hat. Magnus stammt nämlich von einem nordischen Gott ab und bei den nordischen Göttern herrscht große Unruhe. Ragnarök, die große Götterdämmerung, steht bevor und er ist auserwählt diese zu verhindern.
    Magnus versteht die Welt nicht mehr! Er, der es faustdick hinter den Ohren hat, sich mit Diebstählen über Wasser hält und absolut nichts von seinem Vater weiß, soll sich mit Göttern, Trollen und Riesen anlegen, um die Welt zu retten.
    Nun denn, dann wollen wir mal mit ihm die Welt der Götter gehörig durcheinander bringen - sie haben es ja nicht anders gewollt.

    ">>Und warum sagt ihr nicht einfach A.D.?<<
    >>Weil Anno Domini, das JAHR DES HERRN, für Christen ja schön und gut ist, aber Thor ärgert sich dann immer furchtbar. Er ist immer noch sauer, weil Jesus damals seine Herausforderung zum Duell nicht angenommen hat.<<"
    (S. 71)

    Mit Magnus erlebt man wirklich allerhand Spannendes.
    Man gelangt nach Walhalla, was völlig anders ist als erwartet. Man muss sich auf die Suche nach dem Schwert des Sommers machen, lernt dabei verschiedene Wesen und Götter kennen, wobei einem nicht alle wohlgesinnt sind und so stolpert man mit Magnus von einem Abenteuer in das nächste.
    Da auch Magnus bis vor Kurzem keinen Plan von der nordischen Mythologie hatte, lernt man mit ihm diese nach und nach kennen und tritt ein in eine Welt voller Mythen und Magie.

    Man liest aus der Sicht von Magnus, dabei wendet er sich auch manchmal direkt an die LeserInnen und bezieht so einen direkt in das Geschehen mit ein.
    Ich habe diesen vorlauten und frechen Jungen von der ersten Seite an ins Herz geschlossen. Er besitzt einen trockenen Humor, der vor Ironie und Sarkasmus strotzt, er ist ein kleiner Klugscheißer, hat aber Köpfchen und das Herz am rechten Fleck. Kurz gesagt - dieser Junge ist eine echt coole Socke.
    Doch auch die anderen Figuren sind hervorragend gezeichnet, wobei man so manche ebenso ins Herz schließt, während man anderen mit Respekt begegnet und wieder andere nicht das zu sein scheinen, was sie sind.

    "In diesem Moment brach Ratatosk über uns durch das Blattwerk. Wenn ihr euch einen mit rotem Fell überzogenen Panzer vorstellt, der einen Baum hinunterklettert ... na ja, das Eichhörnchen war noch viel furchterregender. Seine Vorderzähne waren zwei Keile aus weißem Emailleterror. Seine Krallen waren Dolche. Seine Augen waren schwefelgelb und loderten vor Zorn."
    (S. 302)

    Der Schreibstil ist einfach und flüssig, die Story spannend, abenteuerlich und voller überraschender Wendungen, das Ende enthält einen fesselnden Showdown und macht einen gleichzeitig auf den Folgeband neugierig. Ja, hier passt einfach alles!

    "Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass mein Körper in der richtigen Frequenz summte, als ob ich endlich die richtige Tonlage für den miesen Soundtrack zu meinem Leben gefunden hätte."
    (S. 43)

    Fazit:
    Wenn Ihr Lust habt mit einem Alben, einem Zwerg und einer irakischen Walküre durch die neun Welten zu reisen, mit einem Stierkopf-Köder zu angeln, um die Midgardschlange zu ärgern, ein Schmiededuell der Zwerge erleben möchtet und Euch am Ende dem Fenriswolf entgegenstellen wollt, dann ist dieses Buch genau das Richtige.
    Ich habe mich köstlich amüsiert, bin von der Darstellung der nordischen Götter und deren Legenden beeindruckt und begeistert zugleich und habe es genossen mit Magnus verrückte und spannende Abenteuer zu erleben.
    Ich für meinen Teil bleibe dieser Reihe definitiv treu, denn Loki heckt schon wieder etwas aus. Nur gut, dass ich inzwischen auch den 2. Band dieser Reihe im Regal stehen habe.

    © Pink Anemone

  • Tief in den Wäldern des Nordens begegnet der Wikingerjunge Odd den Göttern Odin, Thor und Loki. Die drei nehmen den Jungen mit auf eine abenteuerliche Reise nach Asgard, die Götterstadt. Denn nur einer wie Odd kann die Eisriesen von dort vertreiben und die Welt vom ewigen Winter befreien: Einer, der so fröhlich ist, einer, der so glücklich ist – wie Odd ... (Klappentext)

    ❆❆❆❆❆

    "Anfang März war der schlimmste Teil des Winters vorüber. Der Schnee taute, die Flüsse schwollen an und die Welt erwachte zu neuem Leben.
    Nur in diesem Jahr nicht."
    (S. 14)


    In Norwegen lebte einst ein Wikingerjunge von 12 Jahren namens Odd. In seinem Wikingerdorf hatte er es nicht leicht. Sein Vater starb auf hoher See, bei einem Holzhacker-Unfall zertrümmerte sich Odd ein Bein und konnte sich nur noch mit einer Krücke fortbewegen und als seine Mutter Elfred den Fetten heiratete, hatte er es auch zu Hause schwer.
    Trotz all dieser Schicksalsschläge verlor Odd nie sein Lächeln. Selbst als plötzlich der Winter nicht mehr enden wollte lächelte Odd. Ja, er lächelte immerzu und dies beunruhigte die Dorfbewohner.
    Schließlich zog der Junge tief in den Wald in die frühere Holzfällerhütte seines Vaters. Dort machte er auf wunderliche Weise die Bekanntschaft mit einem Bären, einem Fuchs und einem Adler. Noch wunderlicher wurde es, als sich herausstellte, dass es sich hierbei um niemand Geringeres als um die Götter Thor, Loki und den Göttervater Odin handelte. Diese befinden sich jedoch keineswegs freiwillig in dieser "Verkleidung". Die Eisriesen haben Asgard eingenommen und dies war auch der Grund, weshalb der ewige Winter auch in Midgard, der Menschenwelt, herrschte.
    Und so machten sich die vier ungewöhnlichen Gefährten auf den Weg nach Asgard, um den Eisriesen das Fürchten zu lehren und diese wieder zu vertreiben.
    Möge das Abenteuer beginnen.

    Hier eröffnet sich einem eine wunderbare Geschichte, welche einen kleinen Teil der nordischen Mythologie aus der Sicht eines kleinen Menschenkindes namens Odd erzählt und in der nicht die Götter, sondern dieser kleine Junge der Held der Geschichte ist.
    Diese kommt ganz ohne Action und Rambazamba aus und besticht eher durch Witz und einer kleinen und wunderschönen Moral.

    "Wenn Magie bedeutet, dass man jenen Dingen den Lauf lässt, den sie sowieso nehmen wollten, oder sie werden lässt, was sie sowieso werden wollten... "
    (S. 103)


    Hier ist niemand perfekt und allwissend, schon gar nicht die Götter und auch die Eisriesen sind nicht nur böse.
    Jeder hat so seine Stärken und Schwächen. Es kommt nur ganz alleine darauf an wie man diese einsetzt.
    Odd hat zwar einen verkrüppelten Fuß, lässt sich dennoch nicht davon abhalten mit den Göttern loszuziehen, um Asgard zu retten. Gemeinsam ist man eben stark.
    Weiters besitzt er ein entwaffnendes Lächeln und schafft es allein durch reden und zuhören dem Eisriesen wieder zurückzuschicken. Man muss eben nicht immer kämpfen und laut herumschreien.

    Neil Gaiman ist ein begnadeter Geschichtenerzähler und kann mit seiner atmosphärischen Schreib- und Erzählweise Kinder und Erwachsene gleichermaßen in seinen Bann ziehen.
    Dieses Buch eignet sich nicht nur für Kinder ab 10 Jahren, um selbst in diese fantastische Welt der Götter zu reisen, sondern auch, um es kleineren Kindern vorzulesen. Am besten unter einer Decke zusammengekuschelt und heißen Kakao schlürfend. Dies jedoch nicht nur aufgrund der kindgerechten Sprache und der Geschichte, die im Stil eines Märchens daherkommt. Hier gibt es nämlich auch allerhand zu sehen und zu entdecken.

    "Odd zuckte bloß die Achseln und lächelte weiter. Es war jenes breite, verstörende Lächeln, das ihm zu Hause regelmäßig Prügel eingetragen hatte. Der Eisriese wollte ihn ebenfalls schlagen, um dieses Lächeln aus seinem Gesicht zu wischen. Aber nie zuvor hatte jemand den Eisriesen auf diese Weise angelächelt, und das irritierte ihn."
    (S. 86)


    Diese Schmuckausgabe in Hardcover ist schon von außen eine Augenweide, doch im Inneren ist dieses Buch noch viel schöner.
    Die Illustrationen von Chris Riddell sind Tuschezeichnungen in schwarz-weiß, die mit silbrig schimmernden Akzenten geschmückt sind. Bei näherem Betrachten erkennt man die Liebe zum Detail. Dadurch ist das bloße Betrachten dieser Zeichnungen schon ein kleines Erlebnis und von diesen Zeichnungen gibt es viele. Auf jeder zweiten Seite kann man diese Illustrationen betrachten, manchmal sogar doppelseitig.

    Fazit:
    Es ist ein wahrer Genuß in diesem Buch zu lesen, zu schmökern und die Bilder zu betrachten. Die Story selbst ist witzig, fantastisch und wunderschön gleichermaßen.
    Da dieses Buch nur 120 Seiten zählt und davon die Hälfte mit Illustrationen geschmückt ist, war ich innerhalb einer gemütlichen Lesestunde durch. Danach habe ich verträumt nochmals die Zeichnungen betrachtet, bis ich das Buch zufrieden schloß. Zugegeben war so manches Seufzen auch etwas wehmütig, denn ich wäre gern noch viel länger beim lächelnden Jungen Odd verweilt.


    © Pink Anemone (mit vielen Bildern und Autoren- und Illustratoren-Info)

  • Dort, wo die Zeit entsteht von Claudia Wengenroth

    "Die Städter sind die Besitzer der Hütte. So steht's in den Papieren. Die Hütte ist älter als die Papiere, wie auch der Berg. Natürlich gehört die Hütte tatsächlich dem Berg und dem Wald. Kaum noch jemand weiß das. Die ganz Alten im Tal wissen es, und sie meiden die Hütte. Wie auch den Hof der Irmelin, die für sie zur Hütte gehört."
    (S. 8)

    Die Rauhnächte sind die Nächte zwischen den Jahren. In dieser Zeit sind die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt und während die stürmischen Mächte der Mittwinterzeit, auch "Die Wilde Jagd" genannt, durch das Land ziehen, fallen die Grenzen zur Anderswelt. So sagen es die uralten Legenden an die doch keiner mehr so richtig glaubt.
    Doch hoch oben, wo die alte Irmelin wohnt, ist es nicht nur Volksglaube, Mythos und Legende. Die alte Irmelin weiß das, sie lebt immerhin schon ihr Leben lang unterhalb des Berges. Sie kennt den Berg, die Winde und auch die einsame Berghütte, die sie für die Städter in Schuß hält.

    Die Berghütte gehört zum Berg und manche sagen sie wäre genauso alt wie er. Doch etwas ist anders, das spürt die alte Irmelin. Die Hütte wartet auf jemanden und scheint das sogar gutzuheißen ... und dann taucht diese junge Ärztin auf und richtet sich in der Hütte ein.
    Katharine, so der Name der Ärztin, möchte sich von ihrem stressigen Alltag erholen und hat dafür die einsame Berghütte ihrer Familie gewählt. Doch auch sie spürt, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
    Was wollen Berg und Hütte ihr sagen, was will diese Irmelin von ihr und seit wann können Raben sprechen?

    ">>Die wilde Jagd, jedes Jahr um diese Zeit. Möcht' die Hollerin selber sein, die herumzieht und sieht, ob alle die Ruhe einhalten, die geboten ist. Und die wilden Reiter hinter Wotan und mit dem braven Eckart. Denen geh aus dem Weg. Sieh zu, dass du nicht draußen bist in der Nacht. Und dass nichts draußen ist von dir, in dem sie sich verheddern könnten."
    (S. 62)

    Man liest aus der Perspektive beider Frauen, der "Alten" und der "Jungen" und mit ihnen erlebt man die Tage und Nächte zwischen den Jahren, an einem Ort, der sich nicht ursprünglicher anfühlen könnte.
    Während die alte Irmelin nicht erfreut über den Besuch ist, trotzdem immer die Nähe von Katharina sucht und versucht ihr das Geschehen hier auf dem Berg zu erklären, versucht Katharina nahezu verzweifelt sich vom Alltag zu lösen und endlich zur Ruhe zu kommen. Einem Alltag voller Pflichten und Regeln, voller Entscheidungen und Stress. Das ist nicht gerade leicht, wenn man jede Nacht komische Träume hat, die einen bis in den Tag verfolgen und dann auch noch die alte Irmelin immer wieder auftaucht. Gleichzeitig genießt sie jedoch die Anwesenheit der mürrischen alten Dame und deren Geschichten über die Wilde Jagd und die Mythen.
    Und so lernt die eine von der anderen und mit diesen beiden eventuell auch der oder die LeserIn.

    "Kein Nachdenken, nur zusehen und fühlen. Das schien das Durcheinander zu ordnen, für den Moment. Nichts, was sie denken musste, für das sie Worte finden, logisch sein musste."
    (S. 32)

    Dieses kleine Büchlein ist ein Buch, welches mich von Anfang an in seinen Bann zog. Dieses Buch und die Story zwangen mich regelrecht dazu zu entschleunigen, was bei mir, einer, deren Gehirn immerzu am Rattern ist und die allgemein nicht schnell zur Ruhe kommt, ein kleines Wunder ist.
    Dies liegt zum Einen am Setting, da ich Geschichten mit Berg- und Schneesetting liebe. Zum Anderen an diesem wunderbaren Schreibstil, der poetisch zugleich ist.

    Hier wird mit viel Ruhe erzählt und auch die Protagonistinnen agieren ruhig. Zum Beispiel wird langsam und bewusst, nahezu meditativ, Tee aufgesetzt oder in einer Suppe gerührt.
    Man weiß von der ersten Seite an, dass sich hier etwas Mysthisches anbahnt, etwas was nicht in unsere Welt zu passen scheint und doch hierher gehört.
    Das "Alte" ist da, der Berg und die Hütte sind da, ebenso die kalten und stürmischen Winde - und alles gehört zusammen.
    Im Verlauf verwischen nicht nur die Grenzen, sondern auch Traum und Realität und macht nicht nur Katharina auf etwas Wichtiges aufmerksam.

    "Die nötigen Handgriffe heute Vormittag. Feuer machen, Wasser holen, die Kälte vertreiben, Kaffee kochen. alles, was sie tun muss, lässt sie hier ankommen. Es gibt nichts, das drängelt. Eins nach dem anderen tut sie. Mit jedem Handgriff wird die Hütte wirklicher."
    (S 22)

    Fazit:
    Mit diesem Buch tauchte ich in eine Geschichte mit wunderbarem Setting ein, in eine Geschichte voll alter Mythen, Atmosphäre und Ruhe. Das Buch führte dazu, dass ich bewusster und intensiver las und somit zur Ruhe kam, während in der Geschichte die Winterstürme um die Hütte fegten.
    Aus diesem Buch wird wohl jeder, der sich auf die Geschichte einlässt, etwas andere mitnehmen.
    Ich für meinen Teil werde hin und wieder mal Pflichten und Regeln vergessen, versuchen mich von Vielem, was mir nicht gut tut, abgrenzen und gleichzeitig selbst darin etwas Gutes sehen. Auch werde ich wieder mehr auf mein Bauchgefühl achten, denn das sind die uralten und richtigen Regeln. So sprach es der Rabe und wir wissen doch alle - Raben haben immer Recht! *g*.
    Dieses Buch ist eines jener wenigen Bücher, die man immer wieder lesen kann und nicht nur zur Zeit der Rauhnächte.

    © Pink Anemone (inkl. Leseprobe, Autoren-Info und Rezept zum Buch)

  • "Nirgendwo in der Stadt standen die Bäume so dicht zusammen, erfüllten die Luft mit dem Geruch von Rinde und verrottenden Blättern und griffen nach ihrer Kleidung. Diese Welt erschien Alice vollkommen fremd, und sie war sich nicht sicher, ob sie sie mochte."
    (S. 64)

    Dies ist der 2. Band der Alice-Reihe von Christina Henry. Es ist schwierig etwas zur Handlung zu sagen ohne zu spoilern. Ich versuche es dennoch mich so vage wie möglich auszudrücken, empfehle jedoch trotzdem nicht weiterzulesen, falls man den 1. Band "Die Chroniken von Alice I - Finsternix im Wunderland" noch nicht gelesen hat.
    Daher gilt: Weiterlesen auf eigene Spoiler-Gefahr.

    ♛♛♛

    Die Story dieses Bandes schließt direkt an die des 1. Bandes an.
    Alice und Hatcher bewegen sich im tiefen Tunnelsystem unterhalb der Alten und Neuen Stadt, um so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
    Doch sie sind auch auf einer Mission, denn sie müssen Hatchers Tochter finden. Sie wissen weder wo diese zu finden ist, noch ob sie überhaupt noch lebt. Auch wenn diese Mission fast ein Ding der Unmöglichkeit ist, hilft es den beiden ein Ziel vor Augen zu haben.
    Weiters möchte Alice Zauberer finden, die ihr helfen ihre Magie zu verstehen und zu gebrauchen und sie hofft, dass nicht alle Zauberer nach ihrem Leben trachten.
    Bei der Suche nach Hatchers Tochter und Zauberern betreten sie unbekanntes Land, welches noch trostloser ist als die Alte Stadt und so wie es aussieht auch noch viel größere Gefahren birgt. Dieses Land soll einer besonders mächtigen Zauberin gehören, die nur "Die weiße Königin" genannt wird. Doch auch sie scheint nicht zu den Guten zu gehören. Im Gegenteil - sie wirkt böser als alle zusammen und dann verlieren sich Alice und Hatcher auch noch aus den Augen und jeder ist auf sich allein gestellt.

    "Alices Weg führte zu der Königin, genau wie er zum Jabberwock geführt hatte. Hatcher hatte in einer Vision die 'Verlorenen' gesehen, wie er sie geannt hatte, und Alice hatte von einem Schloß geträumt, das von den Schreien von Kindern widerhallte. Ja. Sie war zu der Königin unterwegs."
    (S. 102)

    Den 1. Band habe ich von Anfang bis Ende verschlungen. Die Spannung war von der ersten Seite an vorhanden und das Gleiche erwartete ich auch vom 2. Band.
    Dieser benötigte jedoch eine ganze Weile, bis er in die Gänge kommt. Vor allem diese ständigen Wiederholungen nervten mich. Immerzu wird betont, dass Hatcher ein Killer und gefährlich, jedoch tief im Inneren ein Guter ist. Auch das Alice nur aus Notwehr tötet, ergo nur wenn es unausweichlich ist, wird immer wieder erwähnt. Ich habe es schon beim ersten Mal kapiert und es entlockte mir nur noch genervtes Augenrollen.
    Zudem plätscherte die Geschichte auch allgemein nur so dahin. Das änderte sich dann nach etwa 100 Seiten, auf denen man auf Riesen trifft, die ich äußerst amüsant fand.

    Aber kommt danach auch endlich die Story in Fahrt? Leider nein und das lag nicht nur an der Tatsache, dass diese Story, im Gegensatz zum 1. Band, völlig weichgespült wirkt.
    Ich hatte das Gefühl, dass die Autorin bezüglich Blut und Gemetzel ordentlich zurückruderte - es gibt nämlich keines. Nicht das eine Story für mich diese Komponenten unbedingt enthalten muss, sicherlich nicht. Aber da es im 1. Band diesbezüglich ordentlich zur Sache ging, hatte ich eine gewisse Grunderwartung.
    Die Atmosphäre ist dadurch nämlich gänzlich eine andere und will so gar nicht zum 1. Band passen. Es bleibt zwar durchaus düster, aber das gewisse Etwas hat gefehlt und ich hatte das Gefühl, als hätte dieses Buch jemand anderes geschrieben. Wo wir auch schon beim zweiten Punkt wären, der mich störte - Alice!

    "Alice schlug die Augen auf und stellte fest, dass sie zwischen den Wurzeln des Baumes lag wie in den Armen einer Mutter. Der Boden unter ihr war warm und fruchtbar und vibrierte wie eine prall gefüllte Ader, in der rotes Blut floss. Als sie die Wurzeln um sich herum berührte, zitterten sie unter ihren Fingern wie eine Katze, die nach Zuneigung von ihrem Besitzer sucht."
    (S. 185)

    Im 1. Band machte Alice eine unglaubliche Entwicklung durch - vom unsicheren Mädchen zu einer starken selbstbewussten Frau, was ich unglaublich gut fand. Und hier, im 2. Band? Ja, hier scheint sich Alice in einen in Selbstmitleid suhlenden und herumnölenden Teenie zu verwandeln.
    Als ob das für mich nicht schon nervig genug gewesen wäre, schweift Alice auch ständig und immerzu in die Vergangenheit ab ... natürlich im äußerst melancholischen Stil. Selbst wenn es einmal spannend wird, und das wird es durchaus zwischendurch, schweift Alice ab und man kann sich auf ein Mimimi ihrerseits einstellen. Alice verliert also immerzu den Fokus, was dazu führt, das man auch als Leser den Fokus verliert und so stolpert man durch die Geschichte, bis man am Ende angelangt ist.
    Das Ende selbst kann zwar mit einer überraschenden Wendung punkten, doch wirkt es leider lieblos hingerotzt und es werden auch nicht alle Fragen beantwortet und so mancher Handlungsstrang nicht weitergeführt ... Aus die Maus, Klappe zu, Affe tot.

    "Und da steh ich nun. Allein im Wald, im Dunkeln, kein Hatcher, kein Messer, keine Ahnung, wohin ich von hier aus gehen soll!
    Verdrießlich musterte sie das Häuschen. >>Wahrscheinlich voller Ungeziefer.<<"
    (S. 108)

    Wie erwähnt gab es durchaus spannende und auch witzige Szenen und aufgrund des einfach gehaltenen Schreibstils huschte ich trotz der Mankos durch die Seiten, aber packen konnte mich die Story diesmal so gar nicht und, meine Güte, was hat mich Alice genervt!

    Die Aufmachung ist jedoch, wie auch beim 1. Band, gelungen. Nicht nur das Cover ist ein Eyecatcher, sondern auch die wundervollen kleinen Akzente auf dem Buchschnitt.

    Fazit:
    Ich hatte das Gefühl, als wäre hier eine andere Autorin am Werk oder als würde Henry ordentlich zurückrudern und doch einen Dark-Fantasy schreiben wollen, der vielen so ähnlich ist - mit melancholischer, schmachtender und schwadronierender Protagonistin, um eventuell Tiefe zu suggerieren. Das ging in meinen Augen ziemlich nach hinten los und die paar spannenden Szenen reißen das Ganze auch nicht raus.
    So war dieser Band eine ziemliche Enttäuschung für mich, nachdem ich vom 1. Band vor Begeisterung völlig aus dem Häusl war.
    Trotzdem werde ich die Autorin und ihre Märchenadaptions-Reihe weiter verfolgen, denn den Ansatz, aus Märchen Dark-Fantasy mit eigener Story zu kreieren, finde ich toll.

    © Pink Anemone (auf dem Blog mit Bildern, Leseprobe, Autoren-Info und Rezept zum Buch - Rosenblütentee der Königin)

  • Mumien in Palermo von Mark Benecke

    Ob Italien, Kolumbien oder Vietnam - Wie ein Indiana Jones der Kriminalbiologie wird Mark Benecke in die verschiedenen Länder dieser Welt gerufen, um dunkle Geheimnisse aufzuspüren, brutale Morde und unerklärliche Tötungen zu untersuchen. Dabei begegnet er korrupten Polizeibeamten und trifft auf skrupellose Mörder. Ein ganz besonderer Fall sind die Mumien, die in einem Kapuzinerkloster in Palermo aufgefunden werden. Hunderte, vielleicht tausende. Er lernt die Mönche kennen. Was haben sie zu verbergen? Dr. Made packt seinen Koffer und kommt der Wahrheit auf die Spur ... (Klappentext)

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    "Es geht bei ungewöhnlichen Ereignissen nicht um die Gefühle und Eindrücke von ZeugInnen, sondern um die tatsächlichen Spuren dessen, was der Kern des Geschehens ausmacht. Messbare Spuren sind aber etwas anderes als Charakterdarstellungen von Menschen."
    (S. 48)

    Ich habe nicht nur die meisten der bisher erschienen Bücher von Mark Benecke gelesen, sondern war auch schon bei so manchen seiner Vorträge.
    Der Grund besteht nicht nur darin, dass der Kriminalbiologe auf äußerst spannende und auch humorvolle Art und Weise Forensik, Kriminalistik und Naturwissenschaft anhand verschiedener Kriminalfälle an LeserInnen und ZuhörerInnen bringt. Nein, denn er bewegt sich durch alle möglichen Länder, um bereits weit zurückliegende Fälle zu erforschen, welche seine Neugierde wecken.
    Er dröselt auf, erforscht, experimentiert, geht den kleinsten Hinweisen nach, welche für manche unwichtig erscheinen und verbeißt sich so lange in einen Fall, bis es nichts mehr zu forschen und experimentieren gibt.
    Sein Leitsatz: "Ich glaube nichts und prüfe alles".

    Auch in diesem Buch kann man sich wieder von seiner detaillierten Arbeitsweise überzeugen und schaut ihm dabei über die Schultern. Hier klärt man diesmal jedoch keine True-Crime-Cases, sondern untersucht Fakes, Gerüchte und alten Glauben anhand von sechs spannenden Kapiteln.

    1. Kapitel: "Aliens und andere Leichen"

    Hier geht man dem berühmten Video nach, welches die Obduktion des Aliens von Roswell zeigt - Fake oder Wahrheit? Dabei erfährt man auch einiges über Füße und sehr vieles über Augen.

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    2. Kapitel: "Ein Leben in Blut und Tränen"

    Hier begibt man sich in das in Deutschland gelegene Konnersreuth in dem in den 20er und 30er Jahren eine Theresa Neumann Blut weinte und die Stigmata Jesu Christi aufwies.
    Wie konnte sie Ärzte und Professoren überzeugen, während so mancher katholische Priester dem skeptisch gegenüber stand? Wie schaffte sie es jahrelang zu bluten und zu hungern?
    Hier erfährt man wieder einiges über Blutspuren, Wunden und wie es möglich ist, dass sich selbst Leute der Wissenschaft blenden und manipulieren lassen.

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    3. Kapitel: "Die heilige Walpurgis"

    Die heilige Walpurga ist selbst Atheisten bekannt, geht doch die Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai auf sie zurück. Was manchen nicht bekannt ist, ist die regelmässige Ölabsonderung aus den sterblichen Überresten dieser heiligen Walpurga. Auch diesen geht Mark Benecke auf detaillierte Forschungsart nach.

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    4. Kapitel: "Plötzliche Selbstentzündung von Menschen"

    "Erstens fängt das Feuer fast immer im Sitzen an. Zweitens trifft es praktisch nur ältere Frauen. Drittens ist es echtes Feuer, nicht etwa eine starke Säure, wie mir Feuerwehrleute bestätigten, die echte "SHC"-Flammen gelöscht oder die Spuren der Brände untersucht hatten. Und viertens breitete sich das Feuer sehr seltsam aus - fast immer blieben nur die Unterschenkel und Füße der Leiche übrig."
    (S. 111)

    Hier durfte Benecke als erster naturwissenschaftlicher Kriminalist eine Überlebende einer Selbstentzündung interviewen und untersuchen.
    Hierbei betrachtet man sogenannte Selbstentzündungen in der Geschichte und auch ein ganz besonderer Brandexperte kommt zu Wort. Eines meiner Lieblingskapitel!

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    5. Kapitel: "Die Mumien in Palermo"

    "Die Leichen waren sehr ungewöhnlich >>mumifiziert<<, nämlich oft mit lappenartigen Masken vor dem Gesicht und fast immer zum Großteil bis auf die Knochen skelettiert. Die Mönche hatten irgendetwas Seltsames mit den Mumien angestellt."
    (S. 186)

    Wir reisen hier nach Sizilien und besuchen mit Mark Benecke die berühmte Krypta der Kapuzinermönche in Palermo. Dabei betrachten wir nicht nur Mumien, wie z.B. die berühmte Mumie der kleinen Rosalia, sondern erhalten auch ein Rezept für Balsamierflüssigkeit (wer weiß für was man das mal benötigt) und Einblick in das Spezialgebiet von Dr. Made - Insektenkunde.

    "Manche Insekten wie Käsefliegen mögen klebrig zerlaufene Leichen, während beispielsweise Teppichkäfer stark vertrocknetes Leichengewebe bevorzugen. Das ist kein persönlicher Geschmack der Tiere, sondern ihr einzig mögliches lebenswichtes Verhaltensprogramm. Kurz gesagt, die Tiere sind vorhersagbarer und damit zuverlässiger als Menschen."

    ☠☠☠

    6. Kapitel

    Das 6. Kapitel enthält gleich zwei ganz besondere Schmankerln, welche uns langsam wieder in den Alltag zurückführen.
    Zum Einen erzählt uns Mark eine witzige Anekdote aus einem seiner Insekten-Forensik-Trainings in Kolumbien, in der er mit seinen Kursteilnehmern in eine bewaffnete Auseinadersetzung stolperte.
    Zum Anderen kommt seine Frau Ines zu Wort, die uns einen Blick in das Leben der beiden Dauerreisenden werfen lässt und uns Reisetipps für Endlostouren durch Zentraleuropa gibt. So manche/r FestivalbesucherInnen und Reisende werden bei manchen Punkten zustimmend nicken und können sich auch ein paar zusätzliche Tipps in ihr Survival-Handbuch schreiben.

    ☠☠☠

    Dieses Buch enthält natürlich wieder zahlreiche Bebilderungen, welche einem zusätzlich in das jeweilige Thema eintauchen udn auch verstehen lassen.

    Fazit:
    Ich hegte schon immer eine morbide Faszination für den Tod, welche sich im Verlauf meines Lebens verstärkte und dann True Crime (inkl. Forensik) miteinschloß.
    Ersteres mag daran liegen, dass der Tod und das Sterben in meiner Familie nie ein Tabuthema waren. Letzters liegt an meiner unglaublichen Neugierde nach dem Wieso und Warum und dem Hang mich nicht mit einfachen Antworten zufrieden zu geben und auch meinem allgemeinen Interesse an Forensik.
    Hierbei kommt man am Mikrobiologen und Forensiker Dr. Mark Benecke nicht vorbei. Seine Art forensische Wissenschaft auf fesselnde und humorvolle Art an die Laien zu bringen und sie somit in die Welt von Ermittlern, spannende Fälle und auch in die der Naturwissenschaft zu entführen, ist gleichzeitig schockierend aber vor allem faszinierend.
    Auch dieses Buch habe ich wieder innerhalb eines Nachmittags verschlungen und wieder konnte Mark Benecke sein Spezialwissen gut vermitteln und meine Neugierde stillen.
    Es war für mich also wieder einmal eine spannende Lektüre vom Sherlock Holmes der forensischen Mikrobiologie.

    © Pink Anemone (mit vielen Bildern, Leseprobe, Autoren-Info und Mark Benecke-Book-Soundtrack)