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Kriegstagebuch. 1914-1918

Kriegstagebuch. 1914-1918

von Ernst Jünger

Taschenbuch
660 Seiten; 21.6 cm x 13.6 cm
Sprache Deutsch
1. Auflage
2019 Klett-Cotta
ISBN 978-3-608-98566-5
 

Textauszug



30. XII. 14.


Nachmittags, Empfang von Patronen und eiserner Ration. Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten. Als wir antraten, nahmen einige Mütter Abschied, was doch etwas trübe stimmte. 6.44 Abfahrt. Wir bekamen Stroh in die Wagen. Furchtbar gedrängte Pennerei in und unter den Bänken.


 


31. XII. 14.


½ 1 bekamen wir Kaffee und Brot in Hannoversch Münden. 7 Uhr morgens in Gießen. Wir aßen Erbsensuppe mit Fleisch. Lahntal, wunderbare Aussicht. Rhein überschritten bei Coblenz. Dann Moseltal (Revolverschießerei)! Hinter Trier überschritten wir die Luxemburger Grenze. ½ 10 aßen wir Erbsensuppe in Stadt Luxemburg, die ein ganz deutsches Aussehn hatte. Um 12 wurde Neujahr gefeiert mit Gesang und einem Schuck Curaçao. Dann pennte ich ziemlich gut bis zum andern Morgen.


 


1. I. 15.


Um 7 Uhr in Sedan Erbsensuppe bekommen. Stimmung war fidel. Die Gegend bekommt kriegsmäßiges Aussehn. Zerstörte Häuser, gesprengte Brücken, die langsam überfahren werden, und die verfaulten Garben der Ernte auf den Feldern. Viele Hauser stehen verlassen mit offenen Fenstern und Türen. Überall an der Strecke Landsturmmänner. Die verwilderten Felder bieten einen traurigen Anblick. Überall stehen verroste Erntemaschinen. Am Bahnhof Bazancourt stiegen wir aus. In der Ferne brummten die Geschütze. Wir sahen weit hinten zwei Shrapnellwölkchen, die sich in weißen Dampf auflösten. Dann fuhren wir noch einige Kilometer weiter. Wir stiegen aus und gingen zu Fuß nach Oranville. Dort übernachteten wir in einer großen Scheune und hörten auf das Gebrumm der Kanonen.




2. I. 15.


Am nächsten Morgen wurden wir eingeteilt. Ich kam zur 9. Kompanie. Wir legten uns dann etwas in die Schule des Ortes. Plötzlich krachte es ziemlich in unsrer Nähe. Aus allen Häusern liefen die Soldaten auf die Straße. Dann pfiff es 3 Mal dicht über uns hinweg. Alles lachte und niemand lief, aber jeder senkte den Kopf. Wenige Augenblicke später wurden die ersten Getroffenen auf Zeltbahnen herangetragen. Der erste, den ich sah, war blut überstromt und rief ein heiseres ersticktes zu Hilfe, zu Hilfe. Dem Zweitem hing das Bein lose am Schenkel. Es waren 9 Mann getötet, darunter der Musikdirektor Gebhardt. Es wurde von Spionage gesprochen, da unser Dorf erst seit gestern befeuert wurde. Wir standen längere Zeit hinter einer Böschung am Dorf und gingen dann wieder hinein. Ich kam nachher am Portal des Schlosses vorbei. Eine Granate war in die linke Ecke eingeschlagen. Einige große Blutlachen röteten die Straße und am Pfeiler klebte Hirn. Die schwere Eisentür war oben zerfetzt und von ca. 50 Stücken durchschlagen. Ein durchlöcherter Helm und Feldmütze lagen darunter. Oben hing lustig ein Schild: »Zur Granatecke.« Wir blieben tagsüber im Dorfe und am Abend marschierten wir in Feuerstellung. Unser Weg führte uns durch ein völlig zerschossenes Dorf dann kamen wir auf die sogenannte Fasanerie, ein Gehöft, das die Reserve für die Schützengräben beherbergt. Dort hieß es »Laden und Sichern« und dann ging es weiter vor. Mindestens 20 Minuten ging es durch lange Verbindungsgräben. Rechts und links wären wüste Granatfelder, ein Sprengtrichter neben dem andern. Endlich waren wir am äußerstem Schützengraben. Teils lagen wir die Nacht über in den engen Erdlöchern, teils wachten wir bei den Gewehren. Geschossen wurde wenig, aber unaufhörlich. Einmal pfiff eine Kugel über unsre Köpfe. Drei Stunden mußte ich wachen, eine Vorposten stehn. Priepke machte einen Patrouillengang bis an das Drahtverhau des Feindes, um dort eine Ermunterung an Überläufer anzuheften. Ich hatte 2 Stunden Vorposten und 2 Stunden Grabenwache.




3. I. 15.


Am Morgen holte ich Kaffee von der Feldküche, die an die Fasanerie gefahren war. Dann schliefen wir in der Hauptstellung, einem Schützengraben, der hinter der Linie liegt. Der Graben, der vor uns lag wurde stark beschossen, die Granaten platzten 50–100 m vor unsrer Stellung, ich ließ mich im Schlafe nicht stören. Am Abend bezogen wir wieder unsre Feuerstellung. Das Granatenhölzchen hinter uns erhielt einige Treffer der Fortgeschütze, wir sahen die Funken aus dem Zünder sprühen. Ein Offizierstellvertreter, ein Unteroffizier und ein Gefreiter gingen mit Gewehrgranaten vor, als sie die erste abschossen, explodierte sie vor der Mündung und verwundete alle 3, den Unteroffizier sehr schwer.


 


4. I. 15.


Dieses schreibe ich in einem weit vorgeschobenen Erdloch, das ungefähr 150 m vom feindlichen Graben. Ab und zu saust ein feindliches oder freundliches Geschoß dicht an uns vorbei. Leider sehen wir hier keinen Franzmann, sonst könnten wir auch mal knallen. Die Fortgeschütze schießen nach Oranville und unsere Artillerie in ein Dorf an der Höhe, aus dem schon ein schwarzer Dampf aufsteigt. Höchstens 80 m vor uns liegen ca. 6–8 tote Franzosen, die ungefähr schon 2 Monate alt sind. Die gestreckten Glieder in der roten Hose und in den blauen Mänteln sehen seltsam aus; durch mein Glas bemerke ich die aschfahle, fast schwarze Verwesungsfarbe im Gesichte des einen. Nun richtet sich die franz Batterie gegen die deutsche, welche verstummt; dann aber wieder feuert. Dann kracht es wieder an 4, 5 verschiedenen Orten. Nachher rauche ich mit Priepke meine Cigarette und wir glauben, hinten auf dem Felde einen Franzosen zu sehen. Ich schieße erst mit Visier 1200, dann mit 1600, und Priepke mit noch einem andern. Dann müssen wir das Feuer einstellen, da wir sonst von den Forts eiserne Portion bekommen. Ich bin sehr neugierig, wie sich eine Shrapnellbeschießung ausmacht. Im allgemeinen ist mir der Krieg schrecklicher vorgekommen, wie er wirklich ist. Der Anblick der von Granaten zerrissenen hat mich vollkommen kalt gelassen, ebenso die ganze Knallerei, trotzdem ich einige Male die Kugeln sehr nah habe singen hören. Im allgemeinen sind mir die Kälte und die Nässe in unser Erdlöchern das unangenehmste. Währenddessen ich dieses schreibe, liege ich unter einem Unterstand mit etwas feuchtem Stroh, es regnet und der Graben hält schon einige cm Wasser. Gleich geht es wieder auf Wache. So ist man tagelang durchnäßt und nicht im geschlossenem Raume. Ich bin neugierig wann sich der unvermeidliche [Rheu]matismus einstellt. Hoffentlich wird es nichts Schlimmeres. Am Abend gingen wir zur Reservestellung, dem Faisanderie zurück. Die Faisanderie ist ein Gehöft, das hinter dem Wäldchen auf dem Berge liegt. Trotzdem sie unmittelbar in der Nähe des Granatwäldchens liegt, ist sie noch vollkommen unbeschädigt. Das soll daher kommen, daß sie [1 Wort gestrichen, unlesbar] dem franz. Oberst gehört, der mit den Batterieen uns gegenüberliegt. Nachts mußten wir hunde [Anfang der Zeile abgestoßen, vermutlich: müde] zum Schanzen von 11–4 vertieften wir einen Laufgraben. [1 Wort gestrichen, unlesbar] Dann pennten wir in etwas feudaleren Löchern, wie im Graben, die sich durch großen Gestank auszeichneten.


 


5. I. 15.


Heut durften wir bis 12 Schlafen, eine wahre Erquickung. Nachmittags wurden Erdlöcher gegraben; sogenannte Winterhütten. Dann wurden wir alarmiert. Der Alarm war blind. Es wurden die Gewehre nachgesehen und es stellte sich heraus, daß eine Menge Leute mit gelad [Rest der Zeile abgestoßen, vermutlich: enen] und nicht gesicherten Gewehren herumliefen. Am Abend kam die Feldküche angewackelt und brachte einen Scheißfraß, der wahrscheinlich aus den erfrorenen Schweinerüben zusammengekocht war.




6. I. 15.


Von Morgens 9–½ 12, Nachmittags 1–4 geschanzt. Wir standen um die Unteroffiziere und erzählten uns eins. Ich habe höchstens 50 Spaten ausgehoben. Ich sprach mit einem kleinem Unteroffizier der die Sache von Anfang an mitgemacht hat. Er meinte, die Verteilung der eisernen Kreuze und das rote Kreuz wären [1 Wort gestrichen, unlesbar] zwei große Schandflecke unseres Heeres. Ebenso die Feldpost. Fein ausehende Pakete kommen überhaupt nicht an. Jedem sind schon X Pakete verschwunden, von denen sich die Herren hinter der Front ein feines Leben machen. Wir bekommen hier einmal abends warmes Essen und ein halbes oderein Drittel Kommißbrot, das Bischen Speck oder Schmalz was wir dazu bekommen, sind Liebesgaben. Könnte uns der Staat nicht ebensoviel zukommen lassen, wie unseren Kameraden in Deutschland? Oder sieht es niemand hier? Heut morgen wurde ein Mann der Maschienengewehrabteilung durch den Kopf geschossen. Diese Abteilung steht neben uns. Die Kugel flog durch den Ausguck ihres eisernen Schutzschildes. Wer es haben soll, den trifft es auch. In den Gräben stehen Maschinengewehre, Scheinwerfer u.s.w. Nach dem Schanzen am Nachmittag wurden die Einjährigen Kaufleute u.s.w. zusammengerufen. Der Leutnant sagte, er wolle mit den besseren Elementen, die die moralischen Führer der Companie wären, ab und zu eine freie Diskussion abhalten. Abends bezogen wir wieder Feuerstellung. Dem neuen Reg. Befehl zu Folge durften wir pro Mann nur 2 Stunden Schlafen. Des morgens fielen mir im Stehen die Augen zu und die Kniekehlen knickten ein. Es regnete und stürmte, daß wir völlig durchnäßt wurden.




7. I. 15.


Von 9 Uhr ab sollten wir in den Unterständen schlafen. Es war so tropfig, daß wir kein Auge zu tun konnten. Wir spielten Karten (Hachmeiter Janetzki und ich) und vertrieben uns die Zeit, so gut wir konnten. Von 6 Uhr abends bis 8 Uhr morgens wieder das endlose Wachen. Es regnete wieder, Jasnetzki fluchte wie wild.




8. I. 15.


Am Tage hatten wir wieder Grabenwache, Gottseidank werden wir heute abgelöst. 60 Stunden ohne Schlaf in Nässe und Kälte sind endlos. Ich bekomme, wie damals in Algerien ganz and [Rest der Zeile unlesbar, vermutlich: ere] Ideale. Ein solides Studentenleben mit Lehnstuhl und weichem Bett und einem kleinen Freundeskreise ohne Verbindungseseleien, schöne Ausflüge und gute Bücher. Und eine Käfersammlung. Vorher muß ich irgendwie nach Afrika reisen, nur um zu sehen, daß man auch darin nur Phantastereien nachgejagt hat. Heute wurden wir heftig beschossen; die Shrapnells platzten vor und hinter dem Graben. Es machte mir Spaß zu beobachten, wie die Dinger in der Luft krepierten. Trotzdem der Graben offensichtlich beschossen wurde, kam mir doch kein Gefühl der Gefahr hoch. [1 Wort gestrichen, unlesbar] Am diesem Tage schlug eine Granate in die sonst so sichere Faisanderie, tötete den Batallionsadjudanten Lt. Schmidt und verwundete 2 Burschen. Vorgestern ging ein Mann zur Latrine und erhielt, grade in Hockstellung einen Schuß in die Kniekehlen. Am Abend wurden wir Gottseidank abgelöst und gingen nach Oranville zurück. Dort schlief die Kompanie in einer großen, zugigen Scheune.




9. I. 15. – 12. I. 15.


Gewehrreinigen und Unterricht, Appelle und etwas Exercieren . Ich schlief gut und aß mächtig. Am 12. um 6 rückten wir wieder in den Graben. Es war zum ersten Mal schönes, sternenklares Wetter, und die Laune war daher besser wie gewöhnlich. Zwei Mann wurden abgeschickt, die zwei Handbomben in den Graben der Franzmänner werfen mußten. Sie kamen unversehrt zurück.




13. I. 15.


Am Tage lagen wir hinten in der alten Hauptstellung. Priepke und ich hatten 2 Stunden Schlaf Nachts auch wieder Wache bis auf 2 Stunden. Diese beiden Nächte waren wenigstens trocken.




14. I. 15.


2 Stunden höchstens geschlafen. Unsere Artillerie bewarf die Franzosen mit Granaten mit Zeitzünder, daß die Splitter bis in unsere Gräben flogen. Es sah recht kriegerisch aus wie so 4–6 Granaten


auf einmal über den franz. Stellungen platzten. Des Nachts gingen wir zurück bis zu den Winterhütten des Regiments und aßen Erbsen. Oh köstliche Erbsen, Oh köstliche 4 Portionen, Oh Qualen der Sättigung! Dann schantzten wir bis ½ 6 Uhr morgens, und schliefen dann bis ½ 12. Also: Eine Nacht Wache, 2 Stunden Schlaf, ein Tag Wache, 2 Stunden Schlaf, eine Nacht Wache, 2 Stunden Schlaf, ein Tag Wache, 2 Stunden Schlaf und dann eine Nacht durchgearbeitet, um dann 6 Stunden zu schlafen!




15. I. 15.


Um ½ 12 aufgestanden, dann von 1–4 geschantzt. Dann sollte jeder 12 Steine von der Faisanderie bis zu den Regimentshütten tragen. Ich trug 6 und hatte auch genug getan. Endlich einmal eine Nacht zum Schlafen!




16. I. 15.


Morgens geschantzt, Nachmittags Gewehr reinigen. Am Abend abgerückt in die vordere Linie. Wir kamen in das »Granatloch« [zum, gestrichen] als Unteroffiziersposten. Es wurde abwechselnd eine Stunde gewacht und eine Stunde geschlafen also ganz angenehm. Ich zog immer mit Priepke zusammen auf. Das Granatloch ist ein Loch, welches von einer Granate aufgerissen ist und zum Postenloch ausgearbeitet ist. Man befindet sich ziemlich nahe am Feinde und es wird viel geschossen. 3 Meter von unserm Unterstande ragte ein Fuß mit Schuh aus der Erde, der ziemlichen Gestank verbreitete. Die Nacht war wenigstens trocken.




17. I. 15.


Den Tag im Graben verbracht. Nachts wieder im Granatloch.




18. I. 15.


Heute hinterm Graben im Unterstande gelegen. Ich bekam die erste Karte von Daheim. Am Abend zogen wir in Reservestellung. Ich bekam das erste Paket von zu Haus und von Großmutter.




19. I. 15.


Tagsüber geschanzt. Der Unteroffiziersposten, [den, gestrichen] an dem wir gestern standen, hat heute einen Mann durch einen Granatsplitter verloren.


 


22. I. 15.


Heute [wurde, gestrichen] fand rechts von Oranville eine sehr interessante Fliegerbeschießung statt. Die Deutschen Abwehrkanonen schossen sich sehr gut ein, jedoch der Flieger entkam. Zuletzt standen an 30 Shrapnellwölkchen am blauem Himmel.




27. I. 15.


Heute, an Kaisers Geburtstag waren wir im Graben. Um 12 Uhr wurde geblasen und wir schrieen den Franzosen 3 Hurrahs entgegen. Dann sangen wir die erste Strophe von »Heil Dir im Siegerkranz.«


 


28. I. 15.


Die beiden Nächte waren sehr klar und kalt. Ich taxiere mindestens auf 5–6 unter Null. Jedenfalls viel besser als Regen. Der Kaffee fror in den Feldpullen und das Essen in den Kochgeschirren. Mein Freund, der Orion leuchtete in wundervoller, regelmäßiger Klarheit. Ein Pullchen mit Rum und eins mit Cognak taten gute Dienste. Wir gossen den Alkohol in Löffel mit feinem Zucker und hatten so einen großen Genuß.


 


30. I. 15.


Wir hatten heut Stellung ganz am linken Flügel unsrer Gräben. Des Nachts hatten wir Wache neben dem Feldgeschütz und unterhielten uns sehr gut mit den Artilleristen. Ich ging 3 mal zum Wasserholen nach der zerschossenen Mühle im Bachgrunde, ein unheimliches Stimmungsbild à la Böcklin. Vollmond, zerschossenes Gemäuer, ein Gewirr niedergestürzter Erlen, im Wasser ein zerfallender Kahn, das rauschende Wasser, überall tiefe Granatlöcher, ein mitelalterliches Bild der Verwüstung. Am nächsten Morgen kochten wir bei den Artilleristen Kakao, Tee und Krebssuppe.


 


31. I. 15.


Stellung in Graben 5a ganz vorn. Ich stand ganz allein auf Posten im Schilf und war so müde, daß ich einpennte. Als ich aufwachte (ich hatte im Stehen gedöst) war mein Gewehr weg. Seffers hatte sich ganz leise herangeschlichenund es geklaut. Zur Strafe wurde ich nur mit einem Beile bewaffnet von einem Unteroffizier vor unsre Posten geführt und mußte dort 3 Stunden stehen. Als wir hingingen, bekamen wir 2 Salven. Der Unteroffizier, der nachher den Familienvater markieren wollte, verschwand, als er das Pfeifen hörte, mir schlugen noch einige Kugeln am Kopf vorbei, eine schlug grade über mir einen Zweig von der Weide. Meinetwegen hätten sie mich auch direkt in den franz. Posten setzen können, mich ärgerte nur der gemeine Kerl, der äußerte: Wenn ihm was passiert, ist es ihm recht. Nach 2 Stunden schlichen 3 Kerls karikaturenmäßig nach vorn als Patrouille, darunter Lang und Wiesenburg. Sie gingen am Bach entlang, an einer Zuavenleiche vorbei und verschwanden. Bald darauf knallte es und dann pfiff noch eine Salve in meine Gegend. Die beiden kamen zurück, Lang war geblieben. Vor Angst schissen die beiden Feiglinge, die ihren Kameraden liegen lassen hatten, sich fast die Hose voll: Sie mußten wieder zurück, behaupteten aber, ihn nicht finden zu können, wahrscheinlich sind sie im nächsten Gebüsch liegen geblieben.


 


1. II. 15.


Der Leutnant machte mir heut ernste Vorhaltungen und versprach, die Sache nicht weiter zu geben. Andernfalls wäre ich auch abgetan gewesen, denn 6 Monat – 10 Jahr Gefängnis gibt das Kriegsgericht jeden Tag aus. Ich kam infolgedessen später nach 5a und ging mit Dietmann durch den Bachgrund. Plötzlich auf halbem Wege sauste eine Shrapnell oder Granate mit Brennzünder heran und platzte in unmittelbarster Nähe über unserm Kopfe. So schnell bin ich noch nie auf den Boden gekommen. Die Fetzen und der Dreck sausten uns um die Ohren [ein Wort, unlesbar] es folgten noch 2 weitere. Dann stand ich noch eine Stunde im Bachgrund, worauf wir abgelöst wurden und nach Orainville gingen. Für mich hohe Zeit! Einer von dem 74 ist verrückt geworden, wahrscheinlich kommt das nicht zum wenigsten von der ewigen Schlafentziehung.


 


6. II. 15.


Seit 2 Tagen in Bazancourt, wo wir vorläufig zur »Ruhe« bleiben.




15. II. 15.


Durch verschiedene Umstände zum Offizier Aspiranten Kursus kommandiert.




4. III. 15.


Putz heute zum Reg. zurück, Hauptmann von Freese Inf. Wie mags Priepke gehn?


 


18. III. 15.


Heute mal ’nen kleinen Rückblick machen. Beim Garnisondienst und hinter der Front sehne ich mich nach kaum 7 Wochen, so seltsam es klingt, [dem, gestrichen] nach dem Schützengraben, aber besonders nach ein bischen Gefahr zurück. Unsre Leute haben nun den berühmten Sturm hinter sich, von meiner Komp. ist fast ? verloren gegangen. Wir führen hier ein seltsames Leben. Heute z. B. kam der Hauptmann vollständig besoffen vor die Wache und schrie um Hilfe. Als die Wache rauskam und nicht wußte, was tun, verurteilte er sie zu drei Tagen Loch. Dann fiel ihm ein, Feueralarm zu gebieten. Alles lief auf den Alarmplatz und wurde furchtbar angeranzt mit Arschloch und andern Ehrentiteln. Der Wachthabende und ein Sanitätsuntoffz. wurden zu 3 Tagen Loch verurteilt und mußten sofort abgeführt werden. Fortwährend mußte mit einer alten Spritze gegen eine Mauer gespritzt werden und ein Wasserträger wurde verdächtigt, gepißt zu haben. Die Offiziere, die eben noch mit ihm gesoffen hatten, kamen einfach nicht, was furchtbaren Krawall setzte. Dann hielt der Hauptmann eine donnernde Rede über die Schlechtigkeit der Bevölkerung und teilte uns mit, daß er die Bevölkerung zu 300 M verurteilen wolle. Außerdem ist öfters allgemeine große Besäufnis, wo jede Abteilung für sich ein Faß aussäuft. Dann ist das ganze Nest blau.


Neulich soffen einige Ritter von der Gemütlichkeit darunter auch ich an einem Faß oder an dessen Resten. Da erschien der Hauptmann mit einigen Offizieren und es entspann sich ein kolossales Schweinigeln, wie es wohl keine Hamburger Kellerkneipe gesehn hat. Zum Schluß wankte alles Arm in Arm [1 Wort gestrichen, unlesbar] im Neste umher. Im Dorf ist auch eine Schöne eine Frau, deren Mann im Kriege ist, Mdme Octavi, und die einzige der weiblichen Bevölkerung, die diesen Namen verdient. Vor deren Tor und im Hause traf sich [dies, gestrichen] die halbe Besatzung, bis dann der Hauptmann als Ortskommandant erschien und alles Untergebene zum Teufel jagte. [Buchstaben, gestrichen] Ich glaube auch darin eine Ursache zu finden, daß er heute so über die Frechheit der Einwohner, besonders der [halbe Zeile gestrichen, unlesbar] weiblichen krakehlte.


 


22. III. 15.


Seit gestern wieder beim Reg. in Bazancourt. Priepke lebt noch, sie haben aber furchtbare Dinge erlebt. Heute wieder mit exerciert, nachdem wir gestern 33 km mit gep. Affen gemacht hatten. Wir sahen eine sehr interessante Fliegerbeschießung, mindestens 50 Wölkchen umschwebten das Flugzeug, aber es entkam doch.




25. III. 15.


Gestern abend wurden wir verladen und nach [ein Wort gestrichen, vermutlich: Herinne] (?) Hérinnes (Herne) in Flandern geschickt. Als wir im Zuge saßen, wußten wir noch nicht was und wohin. Die Gewehre haben wir in Bazancourt gelassen. Ungeheuer angenehm berührte mich die fast holländische Sauberkeit, nachdem ich solange nur französischen Dreck gesehn hatte. Dieser Tag war famos. Brinckmann, Kohl [und, gestrichen] Priepke und ich soffen in den Estaminets herum, die Kirche ist sehr schön. Vielleicht machen wir von hier einen Durchbruch? Alles steht vor einem Rätsel. Mit Priepke machte ich einen schönen Spaziergang. Außerdem hab ich viel französisch gesprochen. Wir pennen hier notdürftig in altem Saal auf Stroh. (Kam mit Msieur. van Hauten in Bekanntschaft und aß einmal bei ihm




12. IV. 15.


Nachdem wir Ersatz bekommen hatten, fuhren wir nach einem Marsch von 20 km [in die, gestrichen] ungefähr an den rechten Flügel. In der nächsten Nähe von Arras schlugen wir plötzlich einen Bogen und fuhren den Tag und die nächste Nacht durch nach Tronville zwischen Metz und Verdun wahrscheinlich wollten wir die Spione täuschen, da wir in größrem Verbande fuhren. [und, gestrichen] Wir liegen hier wahrscheinlich, um eventuell anzugreifen. Die Gegend sieht triest und verlassen aus. Als ich mit einigen andern auf einem Boden Stroh requirierte, kam ein weinendes altes Weib »Ne prenez pas toute notre paille«, worauf ich ziemlich hartherzig meinte: »C’est la guerre, il nous faut coucher«. Wir wurden vor Fliegern gewarnt, und wirklich kamen auch schon einige, die beschossen wurden. Ich bestieg mit Priepke den Kirchturm. Auf dem Kirchhof waren einige Gräber von deutschen Soldaten, die 70/71 bei Mars-la-Tour-Vionville gefallen waren. Die Kanonen [blit(zen), gestrichen] donnern ziemlich nah und schnell hintereinander. Auf dem gegenüberliegendem Bergkamm sahen wir Granaten und Schrapnel platzen, die aber sehr weit weg waren. Am Nachmittag besahen wir die Kriegergräber von 70/71. Die ganze Gegend war mit Gräbern und Denkmälern besät. Dazu überschritten wir die Grenze zwischen Brouville und Vionville unter 3maligem Hurrah. Der deutsche Grenzpfahl stand noch, der französische lag zerschlagen am Boden. Die Nacht und den Tag darauf hatte ich Wache.




13. IV. 15.


Ich sprach mit [z(wei), gestrichen] einem Französischen Ehepaar. Sie erzählten mir, daß nach der Kriegserklärung die franz. Dörfer der Umgegend von den Metzer Forts unter Feuer genommen seien, am 8. Aug. wären die ersten Truppen eingezogen und seit der Zeit wären immer Soldaten im Ort gewesen. Der Alte hatte schon 70 in diesem Dorfe erlebt, er meinte aber, es wäre 10mal weniger schlimm gewesen. Auf dem Kirchhof sah ich ein aufgewühltes Grab, neben dem die zerstreuten Knochen lagen.




14. IV. 15.


Wir machten einen Übungsmarsch, auf dem wir die andern Denkmäler besahen. Am Abend, ich lag grade neben Honig auf dem Stroh und erzählte von Lenz und von Liebe, ballerte es an das Tor und der Feldwebel Krämer schrie: »Alarm, alles fertig machen!« Zuerst wie immer, große Stille, dann: »Mein Helm! Wo ist mein Brotbeutel? Meine Patronen sind geklaut! Ich kriege die Stiebeln nicht an. Wir kamen wieder an den Bahnhof von Chamblay, wo wir [Wort gestrichen, unlesbar] ausgeladen waren. Ein Landsturmmann erzählte, wir führen nach einer Richtung, wo sonst nur Nachts Züge führen. Um ½ 4 wurden wir ausgeladen und marschierten ohne Licht sehr geheimnisvoll nach einem Gebirgsneste, wo wir beim Morgengrauen ankamen. Das Dorf unten im Tale war, wie ich erfuhr Pagny-sur-Moselle, an dem ich damals im blauem Gewandt die Grenze überschritt. Das Gebirgsnest heißt Prény.


 


15. IV. 15.


Wir pennten wieder in einem Heuboden. Als ich aufwachte, warf ein Flieger 3 Bomben auf Pagny. Flieger sausten überhaupt ganz kolossal herum und wurden wenig beschossen. Es wurde streng drauf gehalten, daß man stets Deckung nahm. Die Stellung vor uns soll der Priesterwald heißen und es soll dort sehr dicke Luft herrschen. Nach dem Aufstehn machte ich mit Priepke einen famosen Spaziergang auf die alte Burgruine, ein romantischer Felsen- und Trümmerhaufen, von dem man einen wundervollen Ausblick in das Moseltal hat. Meine Gedanken glitten mit den Moselwellen nach Verdun und nach vergangener böser Zeit. Auch in Prény haben Granaten aus Metz einige Häuser in Schutt verwandelt. Außerdem fiel mir auf, daß die Truppen alle die Helmspitze abgeschroben hatten. Ein Zeichen, daß die Gräben nahe beisammen liegen.


 


16. IV. 15.


[Streichung: zwei Buchstaben] Ich sah von unsrer Höhe aus die Granaten der schweren Artillerie unten in Pagny einschlagen, anscheinend wurde der Bahnhof beschossen. Morgen sollen wir wieder exerzieren, wieder ein Beweis daß unser Oberstl. nur vom Friedensdienst Ahnung zu haben scheint. Ich müßte lachen, daß, wenn die Flieger uns entdeckt hatten, die erste schwere in seine Bude schlüge.




18. IV. 15.


Heute war wunderbarer Sonnenschein über dem romantischen Moseltal. Gestern abend waren wir alarmbereit, um nach Thiaucourt ev. abzurücken. Am Morgen jedoch erwachte ich noch in meinem alten »coucher.« Wir gingen bis unten an den Bach und wuschen uns. Am Vormittag gingen wir an die nächste Höhe. Dabei waren Honig, Kohl, Priepke, Brinkmann Czernotta (Janotta) und ich. Plötzlich sah ich eine dunkelbraune Schange, die ich gleich als Kreuzotter erkannte. Ich schlug nach ihr, leider verschwand sie zu schnell. Dies war die erste Kreuzotter, die ich wirklich deutlich als solche sah. (Hier giebts auch Vipern, wie mir zwei Bauern erzählten; sehr gefährliche Viecher. Alles in Allem war’s ein ganz famoses Spazierengehn. Am Nachmittag sah ich noch, wie ein Flieger zwei Bomben auf Pagny schmiß. In der Nacht schoß die schwere Artillerie auf Pagny; als ich erwachte, dachte ich erst, daß Prény beschossen würde, so nah pfiffen die Projektile.




22. IV. 15.


Abends um 9 marschierten wir in unbekannter Richtung ab wir machten einen Marsch von über 30 km, der in einem Walde vor Verdun endete. Morgens um 6 waren wir angekommen und bauten Zelte.



Kurztext / Annotation


Mit dieser Ausgabe sind Ernst Jüngers Tagebuchhefte aus dem Ersten Weltkrieg erstmals als Taschenbuch zugänglich – ein einzigartiges literarisches und zeitgeschichtliches Dokument und eine editorische Sensation.



Hauptbeschreibung



Das Kriegstagebuch erstmals in günstiger Taschenbuch-Ausgabe




Mit dieser Ausgabe sind Ernst Jüngers Tagebuchhefte aus dem Ersten Weltkrieg erstmals als Taschenbuch zugänglich – ein einzigartiges literarisches und zeitgeschichtliches Dokument und eine editorische Sensation.




Ernst Jüngers Frontbericht »In Stahlgewittern« ist neben Erich Maria Remarques Roman »Im Westen nichts Neues« das berühmteste deutschsprachige Buch über den Ersten Weltkrieg. Die »Stahlgewitter« sind jedoch kein rein fiktionales Werk, sondern basieren auf den fünfzehn Tagebuchheften, die Jünger während des Krieges von der ersten Fahrt an die Front am Jahreswechsel 1914/15 bis zu seiner letzten Verwundung im August 1918 kontinuierlich führte. So lässt sich genauestens mitverfolgen,wie die Erfahrungen des Krieges von Jünger psychisch verarbeitet und stufenweise literarisiert wurden.




»Diese Aufzeichnungen sind nicht nur ein einzigartiges Dokument der ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹, sondern vor allem auch ein Schlüsseltext zur Entwicklung von Ernst Jüngers Selbstverständnis als Dichter.« 


Heimo Schwilk, Welt am Sonntag


 


»Mustergültig editiert [...] liegen die Kriegstagebücher jetzt in einer von Jüngers Hausverlag Klett-Cotta großzügig ausgestatteten Buchausgabe vor. Und in der Tat: Der Atem des Krieges weht einen schon beim ersten Blätter an.« 


Thomas Karlauf, FAZ






Biografische Anmerkung zu den Verfassern


Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.



Helmuth Kiesel, geboren 1947, Professor Dr. phil., war von 1990 bis 2015 Inhaber eines Lehrstuhls Professor für Geschichte der neueren deutschsprachigen Literatur am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg. Er ist u. a. Herausgeber der Kriegsbücher Ernst Jüngers und Verfasser zahlreicher Studien zur Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts.



Ernst Jünger

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Helmuth Kiesel

Helmuth Kiesel, geboren 1947, Professor Dr. phil., war von 1990 bis 2015 Inhaber eines Lehrstuhls Professor für Geschichte der neueren deutschsprachigen Literatur am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg. Er ist u. a. Herausgeber der Kriegsbücher Ernst Jüngers und Verfasser zahlreicher Studien zur Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts.


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