Erweiterte Suche

Unser

Service

Service

Aktuelle

Events

Events
Schloss Gripsholm | Rheinsberg

Schloss Gripsholm | Rheinsberg

von Kurt Tucholsky

Hardcover
192 Seiten; 20 cm x 12.5 cm; ab 14 Jahre
Sprache Deutsch
3. Auflage
2023 marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
ISBN 978-3-86539-089-9
 

Hauptbeschreibung

Sie gilt als das Urgefühl des Menschen und gerade Schriftsteller versuchen, sich ihr mit der Intensität des Wortes zu nähern: die Liebe. Nur wenigen gelingt dies jedoch in der verspielt-melancholischen Leichtigkeit eines Kurt Tucholsky. Die hier versammelten Erzählungen Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte und Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte gleichen Pastellzeichnungen, die mit schlichten Strichen ein ganzes Universum entstehen lassen, dessen Bildkraft und verborgene Sehnsucht gerade deswegen bezwingen, weil sie in der vordergründigen Unscheinbarkeit der Farben zugleich enthalten und gestillt sind.
Tucholskys Erzählungen bleiben dem Lesenden jedoch gerade deshalb in Erinnerung, weil sie nicht den Anspruch erheben, das Rätsel der Liebe lösen zu wollen. Auf diese Weise schaffen sie einen Raum, der es ihnen erlaubt, die Liebe zu veranschaulichen: ihre unstillbare Sehnsucht nach dem nie zu Befriedigenden, ihre neckisch-frivole Saumseligkeit, aber auch ihre unergründlichen Wünsche und destruktiven Begierden.


Textauszug

Seinen eigentlichen Anfang nahm das Abenteuer erst, als sie in Löwenberg ausstiegen. Der D-Zug ruhte lang und dunkel in der Halle unter dem Holzdach - sie durchschritten einen Tunnel, oben, in hellem Sonnenlicht, stand die Kleinbahn, wie aus Holz gefügt, steif und verspielt. Sie stiegen ein.
»Claire?« »Wolfgang?« »Diese Bahn scheint noch lange hier zu stehen ... machen wir einen kleinen Spaziergang!« »Setz dich hin und falte die Hände! Sie geht gleich ab.«
Der Zug ruckte und ruckelte sich gemächlich durch Salatgärten, Hofmauern. Der Horizont flimmerte blendend weiß ... War es eine Schönheit, diese Landschaft? - Nein: da standen Baumgruppen, durch nichts ausgezeichnet, das Land wurde wellig in der Ferne, versteckte ein Wäldchen und zeigte ein anderes - man freute sich im Grunde, daß alles da war ... Das Maschinchen schnob und klingelte zornig, durch den staubigen Rauch hindurch klingelte es melodisch, wie eine läutende Kirchturmglocke bei Sturm. »Wolf, den Reiseführer!« Sie hatten ihn im D-Zug liegenlassen - er hatte ihn im D-Zug liegenlassen.
Sie hielten, mitten im Walde, auf der Strecke. Die Köpfe heraus; die Beamten waren zurückgelaufen, hatten Schaufeln mitgenommen: die Lokomotive mußte Funken ausgeworfen haben, ein kleiner Brand war entstanden »Ich will mitlöschen!«
Er kugelte den sandigen Abhang herunter; die Reisenden lachten. Oben stand Claire und verdrehte die Augen. »Du mußt ja ...!« Er kam zurück, ganz bestaubt, lächelnd, glücklich. Er hatte sich wieder einmal betätigt. Die Beamten kamen, stiegen auf, der Zug ruckte an »Eigentlich ...« »Na?« »Ich finde es heiter, Denk mal, mein Papa und mein Mama sitzen jetzt im Kontor, fahren in der Stadt herum und glauben ihr Töchterchen wohlgeborgen im Schoße der treusorgenden Freundin. Hingegen ...« »Hingegen ..?« »Na, ja, treusorgen sorgst du ja für mich ...« Der Jäger nebenan hatte schon lange in sich hineingelacht. Er saß da, grün, bepackt, schwer und braungebrannt. Man hatte, wenn man ihn sah, die Empfindung von ganz frühen, feuchten Morgen, ein Mann tappt durch den halbdunklen Wald, es riecht kräftig und gut ... Das kleine, runde Loch der Büchse guckte unheilverkündend, schwarz und dunkel in die Luft: kleine Kugeln werden herausfliegen, das Reh, auf das es morgen gerichtet wird, lief vielleicht jetzt gerade mit seinen Gefährten zur Quelle, trank und war zierlich im Walde verschwunden .. Der Jäger stand auf, stopfte sich eine Pfeife und sagte beim Herausgehen: »Schonzeit, junger Mann, Schonzeit!« - und trampfte lachend davon.
Das Coupé war erfüllt von ihrem Schreien, das die rumpelnden und klirrenden Geräusche übertönen sollte. Man verständigte sich nur schwer:
»... Sonne weit über das Land ...« »... wie? Sonne reit über das Land? ...«
»... nein ... Sonne weeiit .. Land ... Seh mal: 'ne Akazie! 'ne blühende Akazie, lauter blühende Akazien!« »Is gar keine, is 'ne Magnolie!« »Hach! Also wer weiß denn von uns beiden in der Botanik Bescheid? Ich oder ich?«
»'ne Magnolie is es.« »Meine Liebe, ich müßte bedauern, es mit einem kräftig geführten Schlag gegen Sie nicht bewenden lassen zu können. Alle Wesensmerkmale der Akazie deuten auch bei diesen Bäumen auf eine solche hin.« »Is aber 'ne Magnolie.« »Herr Gott, Claire! Siehst du denn nicht diese typisch ovalen Blätter, die weißen, kleinen traubenförmigen Blütenstiele! - Mädchen!« »Aber ... Wölfchen ... wo es doch ne Magnolie is ...« Sie erstickte in Küssen.
Dann galt es noch eine Bauersfrau nachzuahmen, die auf der letzten Station hochgeschürzt und breitbeinig stehengeblieben war, um sich vermittels ihres zweiten Unterrocks zu schneuzen. Claire erwies sich hierbei als geschickt und brauchbar.
Endlich kamen sie aber doch an.


Kurt Tucholsky

Kurt Tucholsky (1890–1935), in Berlin als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, betätigte sich nach dem Jurastudium in Berlin und Genf und der anschließenden Promotion in Jena in der Weimarer Republik als Dichter, Schriftsteller, Kunstkritiker und Journalist. In seinem Selbstverständnis als linker Demokrat und Pazifist warnte er bereits früh vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus. 1930 verlegte er seinen Wohnsitz nach Schweden, 1933 verbrannten die Nationalsozialisten seine Bücher. Am 21.12.1935 starb Tucholsky vermutlich an den Folgen eines Suizidversuchs.

Verfügbar in Filiale: